EGMR 23.11.2017 – 19068/13 und 73322/13 (Standard Verlagsgesellschaft mbH gegen Österreich)

Unzulässige Tatsachenbehauptung "Spiritus Rector"

Der EGMR bewertete die Äußerung der österreichischem Tageszeitung "Der Standard", der Aufsichtsratsvorsitzende einer Krankenhausgesellschaft sei mutmaßlich „Spiritus Rector“ einer Bespitzelungsaktion zum Nachteil einer geheimen Betriebsversammlung von Ärzten gewesen, nach den Gesamtumständen als eine dem Beweis zugängliche Tatsachenbehauptung.

Zur Abwägung zwischen dem Recht auf Meinungsäußerungsfreiheit unter Art. 10 der Konvention und dem guten Ruf als Bestandteil des Rechts auf Achtung des Privatlebens unter Art. 8 der Konvention verwies der Gerichtshof zunächst auf die bereits bekannten Abwägungskriterien in den Entscheidungen Axel Springer AG gegen Bundesrepublik Deutschland I (K&R 2012, 187, NJW 2012, 1053), Von Hannover gegen Bundesrepublik Deutschland II (K&R 2012, 179), sowie Couderc und Hachette Filipacchi Associés gegen Frankreich (AfP 2016, 413): Beitrag zu einer Debatte von allgemeinem Interesse; Bekanntheit der betroffenen Person und Gegenstand der Berichterstattung; vorausgegangenes Verhalten der betroffenen Person; Methode der Informationserlangung und Wahrhaftigkeit; Inhalt, Form und Folgen der Veröffentlichung.

Es müsse eine sorgfältige Unterscheidung zwischen Tatsachenbehauptungen und Werturteilen getroffen werden. Die Existenz von Tatsachen könne nachgewiesen werden, während die Wahrheit von Werturteilen dem Beweis nicht zugänglich sei. Allerdings könne ein Werturteil ohne eine es stützende tatsächliche Grundlage übermäßig sein.

Sodann betonte der Gerichtshof den bereits bekannten Grundsatz, dass im Hinblick auf Politiker und Personen des öffentlichen Interesses die Grenzen hinnehmbarer Kritik weiter seien als bei Privatpersonen. Dies gelte jedoch nicht im Falle von verleumderischen Äußerungen ohne tatsächliche Grundlage. Die Aussage, dass der Aufsichtsratsvorsitzende "mutmaßlich Spirtus Rector einer Bespitzelungsaktion" gewesen sei, müsse als Tatsachenbehauptung und nicht als Werturteil betrachtet werden, da sie von Lesern so verstanden werden müsse, dass er eine aktive Rolle bei diesem Vorgang gespielt habe. Dafür spreche im Gesamtzusammenhang auch die weitere Äußerung im Zeitungsbericht, dass er auf Journalisten Druck wegen kritischer Berichte über die Krankenhausgesellschaft ausgeübt habe.

Da für die genannte Tatsachenbehauptung keine Beweise seitens der Beschwerdeführerin vorgebracht worden seien, sei die Tatsachenbehauptung unzulässig.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.06.2018 13:28
Quelle: Dr. Thomas Haug, LL.M. (Exeter)

zurück zur vorherigen Seite