Aktuell in der AfP

Marktverhaltensregeln im Wettbewerb der Medien (Prof. Dr. Degenhart, AfP 2018, 189)

Mehrere gerichtliche Entscheidungen des vergangenen Jahres tragen zur Klärung der Frage bei, unter welchen Voraussetzungen wirtschaftlich relevante (Medien-)Aktivitäten der öffentlichen Hand – im weitesten Sinn – geschäftliche Handlungen im wettbewerbsrechtlichen Sinn sein können und wann sich hierfür maßgebliche Bestimmungen des öffentlichen Rechts als Marktverhaltensregelungen im Sinn des Lauterkeitsrechts darstellen. Der Beitrag unternimmt eine zusammenfassende Würdigung der Rechtsprechung in Sachen Crailsheimer Stadtblatt, BR-Klassik, Tagesschau-App und ARD-Buffet.

I. Ausgangsfälle
II. Problemstellung
1. Voraussetzungen des lauterkeitsrechtlichen  Unterlassungsanspruchs
2. Rechtsschutz gegen die öffentliche Hand: die Rechtswegfrage
III. Maßgeblichkeit des UWG
1. Geschäftliche Handlung
a) Geschäftliche Handlungen, öffentliche Aufgabe und Medien
b) Insbesondere: Printprodukte der öffentlichen Hand
c) Rundfunkfunkprogramme und Telemedien
2. Wettbewerbsverhältnis und Aktivlegitimation (§ 8 Abs. 1 UWG)
IV. Verstoß gegen Marktverhaltensregeln (§ 3a UWG)
1. Grundrechte – Staatsfreiheit der Presse
2. Gesetzliche Festlegung der Rundfunkaufgaben als Marktverhaltensregeln
a) Telemedien (§ 11d Abs. 2 Ziff. 3 letzter Hs. RStV): Tagesschau-App
b) Printmedien (§ 11a Abs. 1 Satz 2 RStV): ARD-Buffet
c) Frequenztausch: BR-Klassik
3. Spürbarkeit des Rechtsbruchs
V. UWG und Verfassungsrecht
1. Verfassungsmäßige Anwendung des UWG auf  öffentlich-rechtliche Körperschaften
2. Staatliche Informationstätigkeit und kommunale Selbstverwaltungsgarantie
3. Wettbewerbsrecht und Rundfunkfreiheit
VI. Resümee


I. Ausgangsfälle

Im Verfahren um die Tagesschau-App haben der Erste Senat des BGH ebenso wie LG und OLG Köln in den Vorinstanzen die Position privatwirtschaftlicher Medienunternehmen im Wettbewerb mit öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten nachhaltig gestärkt; gegen die abschließende Nichtzulassungsentscheidung des BGH wurde vom NDR Verfassungsbeschwerde eingelegt. Eine Stärkung der Position insb. der Presseverlage bewirkt auch das Urteil des BGH v. 26.1.2017 „ARD-Buffet“ zur Herausgabe programmbegleitender Druckwerke auch durch Verlage unter Förderung durch die Anstalten. Revision ist eingelegt gegen das Urteil des OLG Stuttgart v. 3.5.2017, das einen Anspruch auf Unterlassung der kostenlosen Verteilung eines kommunalen Stadtblatts wegen eines Verstoßes gegen den Grundsatz der Staatsfreiheit oder Staatsferne der Presse bejaht. Hier wird der BGH nach „Einkauf aktuell“ erneut zu entscheiden haben, unter welchen Voraussetzungen der unmittelbar aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG abgeleitete Grundsatz der Staatsfreiheit der Presse als Marktverhaltensregelung im Lauterkeitsrecht zu werten ist – was im Fall „Einkauf aktuell“ grundsätzlich bejaht worden war. Revision war auch eingelegt worden gegen ein Urteil des Kartellsenats des OLG München vom 27.7.2017, das einen Unterlassungsanspruch privater Rundfunkunternehmen gegen die Änderung des Verbreitungswegs eines öffentlich-rechtlichen Hörfunkprogramms verneint hatte. Der Rechtsstreit wurde von den Parteien übereinstimmend für erledigt erklärt, nachdem die beklagte Rundfunkanstalt von ihrem Vorhaben Abstand genommen hatte.

Gegenstand der Ausgangsverfahren waren jeweils lauterkeitsrechtliche Unterlassungsansprüche privater Medienunternehmen, von Presseverlagen im Fall der Tagesschau-App, des ARD-Buffets und des Stadtblatts, privater Rundfunkveranstalter im Fall von BR-Klassik. Sie richteten sich gegen Medienaktivitäten öffentlich-rechtlicher Körperschaften, von Rundfunkanstalten im Fall der Tagesschau-App und von BR-Klassik und von Gebietskörperschaften im Fall des Crailsheimer Stadtblatts. Im Fall ARD-Buffet richtete sich der Unterlassungsanspruch gegen die Rundfunkanstalt und deren rechtlich selbständige Tochtergesellschaft.

II. Problemstellung

1. Voraussetzungen des lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs

Die Unterlassungsansprüche nach UWG wurden auf Verstöße gegen öffentliches Recht gestützt – in den rundfunkrechtlichen Ausgangssachverhalten auf Verstöße gegen Aufgabenzuweisungs- und -begrenzungsnormen des Rundfunkstaatsvertrags, im Fall der kommunalen Stadtzeitung, wie schon bei „Einkauf aktuell“, auf das Gebot der Staatsfreiheit oder Staatsferne der Presse. Wie auch der BGH bejaht das OLG Stuttgart die Bedeutung dieses grundrechtlichen Gebots als Marktverhaltensregelung ebenso wie die weiteren Voraussetzungen eines lauterkeitsrechtlichen Unterlassungsanspruchs. Insbesondere sieht es in der Herausgabe und kostenlosen Verbreitung der Stadtzeitung eine „geschäftliche Handlung“ i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG. Tagesschau-App und ARD-Buffet werden vom BGH wie von den Vorinstanzen ohne weiteres als geschäftliche Handlung gesehen. Das Verbot presseähnlicher Angebote ohne Sendungsbezug nach § 11d Abs. 2 Nrn. 1 und 2 RStV wird ebenso wie die Beschränkung für programmbegleitende Druckwerke nach § 11a Abs. 1 Satz 2 RStV als auch im Interesse der Wettbewerber erlassene Marktverhaltensregelung gesehen, während nach Auffassung des Kartellsenats des OLG München die Bestimmungen des § 11c Abs. 2 Satz 6 und des § 19 Satz 3 RStV zur analogen Verbreitung bisher digital verbreiteter Programme keine Marktverhaltensregelungen i.S.d. § 3a UWG darstellen, es für die Verbreitung eines werbefreien Programms bereits an einer geschäftlichen Handlung fehlen soll. Unter welchen Voraussetzungen also wirtschaftlich relevante Aktivitäten der öffentlichen Hand – im weitesten Sinn – geschäftliche Handlungen im wettbewerbsrechtlichen Sinn sein können, unter welchen Voraussetzungen hierfür maßgebliche Bestimmungen des öffentlichen Rechts sich als Marktverhaltensregelungen im Sinn des Lauterkeitsrechts darstellen, dahingehend kann die den genannten und weiteren Fällen gemeinsame Problemstellung zusammenfassend formuliert werden.

2. Rechtsschutz gegen die öffentliche Hand:die Rechtswegfrage

Damit stellte sich die „klassische“ Frage nach dem Rechtsschutz privater Wettbewerbsteilnehmer gegen eine Teilnahme der „öffentlichen Hand“ – verstanden hier im weiteren Sinn öffentlich-rechtlicher, nicht notwendig staatlicher – Körperschaften am Wettbewerb und damit der Abgrenzung zivilgerichtlicher und verwaltungsgerichtlicher Entscheidungsbefugnisse, der Heranziehung öffentlich-rechtlicher Maßstäbe durch die ordentliche Gerichtsbarkeit und der Einordnung öffentlich-rechtlicher Normen als Marktverhaltensnormen i.S.v. § 3a UWG. (...)

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.06.2018 13:58
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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