Aktuell in der AfP

Einholung und Berücksichtigung der Stellungnahme bei der Verdachtsberichterstattung (Brost/Conrad/Rödder, AfP 2018, 287)

Nach ständiger Rechtsprechung darf die Presse auch über ungeklärte Sachverhalte berichten. Eine solche Verdachtsberichterstattung ist jedoch nur dann erlaubt, wenn die Presse gewisse „Spielregeln“ berücksichtigt. Der folgende Beitrag zeigt daher die Grundregeln der Einholung wie der korrekten Berücksichtigung einer Stellungnahme auf und soll damit den Interessen der Presse und der Betroffenen dienen.

1. Grundsätze der Verdachtsberichterstattung

2. Vorherige Stellungnahme als Voraussetzung der Verdachtsberichterstattung

3. Einholung der Stellungnahme

4. Berücksichtigung der Stellungnahme

a) Keine journalistische „Einschätzungsprärogative“

b) Recht am eigenen Wort

c) Bewusst unvollständige/unwahre Berichterstattung

5. Ergebnis

1. Grundsätze der Verdachtsberichterstattung

Regelmäßig liest man die juristische Leerformel, dass die Presse Meinungen und Wahres berichten darf, Unwahres hingegen nicht. Schon früh tauchte daher die Frage auf, wie mit nicht bestätigten Gerüchten und/oder Verdachtsmomenten umzugehen ist – wobei diese Verdachtsmomente nicht nur Straftatvorwürfe, sondern jede negative Kritik umfassen, die geeignet ist, das Ansehen des Betroffenen herabzusetzen. Wegen der überragenden Bedeutung der freien Presse für den demokratischen Rechtsstaat muss es der Presse auch möglich sein, über derartige Verdachtsmomente zu berichten. Rechtlicher Anknüpfungspunkt ist neben Art. 5 Abs. GG eine analoge Anwendung des § 193 StGB, was jedoch nach der Rechtsprechung des BGH voraussetzt, dass „vor Aufstellung oder Verbreitung der Behauptung hinreichend sorgfältige Recherchen über den Wahrheitsgehalt angestellt werden. Die Pflichten zur sorgfältigen Recherche über den Wahrheitsgehalt richten sich dabei nach den Aufklärungsmöglichkeiten. Sie sind für die Medien grundsätzlich strenger als für Privatleute. An die Wahrheitspflicht dürfen im Interesse der Meinungsfreiheit keine Anforderungen gestellt werden, die die Bereitschaft zum Gebrauch des Grundrechts herabsetzen. Andererseits sind die Anforderungen umso höher, je schwerwiegender die Äußerung das Persönlichkeitsrecht beeinträchtigt (...). Erforderlich ist jedenfalls ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert“ verleihen. Die Darstellung darf keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich muss es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt ist.“

Das Zitat beinhaltet mehrere wichtige presserechtliche Grundsätze: Zum einen handelt es sich nicht um eine Art Sonderrecht der Presse; die Grundsätze gelten vielmehr auch für Privatleute. Zum anderen handelt es sich um eine äußerungsrechtliche Privilegierung zugunsten der Person, die über ungeklärte Sachverhalte berichten will. Denn ihr wird ausnahmsweise die Befugnis eingeräumt, bei Vorgängen von „gravierendem Gewicht“ auch über diese Verdachtsmomente zu berichten – allerdings nur, sofern sie sich kumulativ an die genannten Voraussetzungen hält. Unterlässt sie dies nicht, ist der Bericht zwangsläufig rechtswidrig.

2. Vorherige Stellungnahme als Voraussetzung der Verdachtsberichterstattung
Die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze sind logisch, wenn man ihren Zweck verinnerlicht: Da über einen Verdacht zu Lasten einer (natürlichen oder juristischen) Person berichtet werden soll, muss dieser Verfahrensstand naturgemäß zunächst existieren und auch im Bericht erkennbar sein. Zunächst bedarf es also überhaupt objektiver (!) Beweistatsachen, wozu etwa der Verweis auf anonyme Zeugen nicht gehört; diese ordnet der BGH vielmehr generell als „zwielichtig“ ein. Auch das Vorhandensein nur einer Quelle reicht grundsätzlich nicht aus.

Inhalt und Wortwahl des Berichts müssen zudem erkennen lassen, dass hier nur ein bloßer Verdacht gegeben ist; der Bericht darf keinesfalls vorverurteilend sein. Je schwerer die Vorwürfe sind, desto zurückhaltender muss die Presse agieren. Kann dem Informationsinteresse etwa auch ohne Namensnennung entsprochen werden, muss die Presse ...

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.08.2018 15:37
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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