Aus der AfP

Verdeckte Tatsachenbehauptungen und unvollständige Berichterstattung - Darstellung und Auswertung der Kriterien der Rechtsprechung (Retka, AfP 2018, 196)

Der Beitrag stellt die Kriterien der Rechtsprechung dafür dar, ab wann von einer rechtlich relevanten verdeckten Tatsachenbehauptung bzw. von Unvollständigkeit einer Berichterstattung gesprochen werden kann, und untersucht, ob diese zu angemessenen Ergebnissen führen oder ob für Betroffene Schutzlücken verbleiben.

I. Ausgangssituation

II. Rechtsprechung des BGH

1. Kriterien

a) Verdeckte Tatsachenangaben

aa) Grundsätzliche Berücksichtigung verdeckter Angaben

bb) Spätere Einschränkung der Rechtsprechung

b) Bewusst unvollständige Tatsachenangaben

aa) Anforderungen an die Vollständigkeit

bb) Verhältnis zu verdeckten Angaben

2. Rezeption in der Literatur

a) Zurechenbarkeit einer Äußerung als Maßstab?

b) Zu strenge Handhabung im Einzelfall?

III. Analyse und Würdigung

1. Zwingende Schlussfolgerung – zu pauschal?

2. Überzeugungskraft eigener Schlussfolgerungen

3. Korrektur durch Postulat der Vollständigkeit

IV. BVerfG und Stolpe-Problematik

V. Gesamtbewertung der Rechtsprechung

1. Verbleibende Schutzlücken

2. Vorschläge zur rechtlichen Bewältigung

VI. Besonderheiten der Rechtsfolgen

1. Gegenstand des Verbots bei verdeckten Tatsachenangaben

2. Reichweite der Berichtigung bei unvollständiger Berichterstattung

3. Ausgestaltung der Ansprüche als Spiegel der Meinungsfreiheit

VII. Fazit
 

I. Ausgangssituation
Den Protagonisten unwahrer Medienberichterstattungen sind zur Wahrung ihres Persönlichkeitsrechts und anderer Schutzgüter Rechtsschutzmöglichkeiten an die Hand gegeben, sich solcher Angriffe zu erwehren. Denn die Meinungsfreiheit gewährt keinen Schutz für die Mitteilung unrichtiger Informationen. Sieht sich jemand einer unwahren Behauptung ausgesetzt, kann er sie regelmäßig untersagen. Derartige Äußerungen treten allerdings nicht immer offen hervor. Oft sind unwahre Angaben erst auf den zweiten Blick erkennbar, etwa weil sie subtil erfolgen und erst durch eine Interpretation aus den mitgeteilten Informationen gefolgert werden können.

In diesen Problemkreis fallen zum einen die sog. verdeckten Tatsachenbehauptungen. Gemeint sind damit Aussagen, die nicht in dem Sinne offen aufgestellt werden, dass sie sofort erkannt und erschlossen werden. Verdeckte Behauptungen sind Informationen, die dem Leser „zwischen den Zeilen“ vermittelt werden und sich erst aus dem Gesamtzusammenhang ergeben. Das ist bspw. anzunehmen, wenn in einem Bericht über eine Straftat erwähnt wird, dass sich auch eine bestimmte Person am Tatort aufgehalten hat, und man auf diese Weise schließen kann, dass sie etwas mit der Tat zu tun hat. Ist eine verdeckte Angabe als inhaltlich unzulässig zu bewerten, stehen dem Betroffenen dagegen die gebräuchlichen Rechtsschutzmöglichkeiten offen, etwa Unterlassungs- und Gegendarstellungsansprüche. Schwierigkeiten bereitet aber die Frage, wann eine rechtlich relevante verdeckte Äußerung überhaupt angenommen werden kann. Erst dann ist diese nämlich in gleicher Weise wie eine offene Aussage einer rechtlichen Kontrolle unterworfen.

Ebenso kann es Berichterstattungen geben, die keine expliziten Unwahrheiten enthalten, sondern an sich zutreffende Umstände mitteilen, aber einen Sachverhalt (bewusst) nur unvollständig darstellen. Solche Halbwahrheiten können einen falschen Eindruck von dem Geschehen vermitteln und den Betroffenen in einem schlechteren Licht dastehen lassen, als es vielleicht angemessen wäre. Das kann etwa der Fall sein, wenn mitgeteilt wird, dass eine namentlich genannte Person einen anderen niedergeschlagen hat, dabei aber verschwiegen wird, dass es sich um eine Notwehrsituation gehandelt hat. In dieser Hinsicht ist fraglich, welche Anforderungen an die Vollständigkeit einer Reportage gestellt werden und welche Konsequenzen sich ergeben, wenn ihnen nicht genügt wird.

II. Rechtsprechung des BGH
Die rechtliche Lösung der betreffenden Fälle ist maßgeblich von der Rechtsprechung erarbeitet worden, daher sollen im Folgenden zunächst die Grundsätze des BGH herausgearbeitet werden.

1. Kriterien
a) Verdeckte Tatsachenangaben
aa) Grundsätzliche Berücksichtigung verdeckter Angaben

Seit der Medizin-Syndikat III-Entscheidung ist in der Rechtsprechung anerkannt, dass bei der Ermittlung des Inhalts einer Äußerung nicht nur offen aufgestellte Behauptungen zu würdigen sind. Die gerichtliche Prüfung muss sich nach dem BGH auch auf Aussagen erstrecken, die im Gesamtzusammenhang ...

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.09.2018 16:53
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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