OLG München 27.8.2018, 18 W 1294/18

Unrechtmäßige Löschung eines Kommentars auf einer Social Media-Plattform

Auch durch allgemeine Nutzungsbedingungen kann sich die Betreiberin einer Social Media-Plattform nicht das Recht einräumen, Beiträge von Nutzern zu löschen, wenn diese durch die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG geschützt sind.

Sachverhalt:

Die Antragsgegnerin betreibt eine bekannte Social-Media-Plattform. In ihren allgemeinen Nutzungsbedingungen behielt sie sich das Recht vor, Beiträge zu entfernen, wenn die Antragsgegnerin „der Ansicht“ ist, dass diese „gegen die Erklärung oder“ ihre „Richtlinien“ verstoßen.

Die Antragstellerin kommentierte einen Artikel zu Grenzkontrollen in Österreich und reagierte damit auf einen Vorkommentar einer Nutzerin. Der Beitrag beinhaltete ein Zitat von Wilhelm Busch („Gar sehr verzwickt ist diese Welt, mich wundert’s, dass sie wem gefällt.“) und ergänzend „Ich kann mich argumentativ leider nicht mehr mit Ihnen messen, Sie sind unbewaffnet und das wäre nicht besonders fair von mir.“

Die Antragsgegnerin löschte diesen Kommentar und sperrte die Antragstellerin, nachdem sie den Kommentar erneut einstellte. Zur Begründung führte sie aus, der Beitrag verstoße gegen die „Gemeinschaftsstandards“. Die Antragstellerin beantragte darauf den Erlass einer einstweiligen Verfügung, durch welche der Antragsgegnerin die Löschung des Kommentars sowie die Sperrung untersagt werden soll. Das Landgericht München II hat den Antrag zurückgewiesen.

Die Gründe:

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hat das OLG München den Beschluss des LG München II abgeändert und die einstweilige Verfügung antragsgemäß erlassen.

Die Antragsgegnerin konnte sich nicht auf ihr in den allgemeinen Nutzungsbedingungen eingeräumtes Recht berufen, da das einseitige Bestimmungsrecht eine unangemessene Benachteiligung nach § 307 Abs. 1 S. 1 BGB darstellt Gemäß § 241 Abs. 2 BGB ist der Plattformbetreiber als Vertragspartner zur Rücksichtnahme verpflichtet. Wegen der Drittwirkung von Grundrechten im Privatrecht ist auch das Recht auf freie Meinungsäußerung nach Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG zu berücksichtigen. Die Antragsgegnerin verletzt das Recht auf Rücksichtnahme, wenn sie einen Beitrag eines Nutzers löscht, ohne dass der Beitrag die Grenzen zulässiger Meinungsäußerung überschreitet.

Die Antragsgegnerin kann sich auch nicht auf eine Verletzung ihrer Gemeinschaftsstandards, berufen, wonach sie sog. „Hassbotschaften“ entfernen kann. Die Äußerung der Antragstellerin stellt nach ihrem objektiven Sinn und ihrem Aussagegehalt evident keine „Hassbotschaft“ dar. Bei der Erfassung des Aussagegehalts ist der Gesamtzusammenhang, in dem die Äußerung gefallen ist, ausgehend von dem Verständnis eines unbefangenen Durchschnittslesers und dem allgemeinen Sprachgebrauch, zu berücksichtigen.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.09.2018 15:08
Quelle: Dr. Karolin Nelles LL.M. / Imke Ostermann

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