EGMR, 9.1.2018, 18597/13

GRA Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus gegen Schweiz

Der EGMR entschied, dass die Bezeichnung einer politischen Rede als „verbaler Rassismus“ auch dann als zulässige Meinungsäußerung bewertet werden könne, wenn zwar nicht die einzelnen Glaubensanhänger als Personen verunglimpft würden, jedoch die Ausbreitung einer Religion als Gefahr für die nationale Leitkultur dargestellt werde, die den Schutz und die Verteidigung der Leitkultur erfordere.

Im Rahmen einer Demonstration zur Unterstützung der Volksabstimmung über ein Bauverbot von Minaretten in der Schweiz hielt der Vorsitzende B.K. der Jungen Schweizerischen Volkspartei eine Rede, in der er davor warnte, dass die auf dem Christentum basierende Schweizerische Leitkultur durch andere Kulturen ersetzt werde und dass das Minarett-Verbot ein symbolisches Zeichen zur Bewahrung ihrer eigenen Identität sei. In Reaktion auf diesen Artikel veröffentlichte die Beschwerdeführerin, eine Nichtregierungsorganisation, auf ihrer Website einen Eintrag über die Veranstaltung, der in der Rubrik “Chronologie – Verbaler Rassismus” erschien.

Die dagegen gerichtete Unterlassungsklage (sowie der Antrag auf Ersetzung des bisherigen Textes auf der Website durch die Veröffentlichung des Gerichtsurteils) vor Schweizer Gerichten hatte letztlich Erfolg.

Im Hinblick auf diese Verurteilung stellte der EGMR nun aber einstimmig eine Verletzung der Meinungsäußerungsfreiheit der Beschwerdeführerin gem. Art. 10 EMRK fest:

Anders als das Schweizer Bundesgericht betrachtete der EGMR die Bezeichnung “verbaler Rassismus” seinem Kontext nach nicht als gemischtes, sondern als reines Werturteil, für dessen Zulässigkeit gleichwohl eine tatsächliche Grundlage erforderlich sei. Eine solche Grundlage sei vorliegend in der Rede von B.K. zu sehen, deren Inhalt impliziert habe, dass die schweizerische Leitkultur den Schutz und die Verteidigung gegen die Ausbreitung des Islams wert sei. Aus der Sicht des EGMR werde damit angedeutet, dass die Ausbreitung des Islams etwas Negatives wäre, vor dem die schweizerische Leitkultur geschützt werden müsse; der EGMR widerspreche daher der Sichtweise des Schweizer Bundesgerichtes, wonach sich die Rede von B.K. nur auf „die Darlegung eines Unterschiedes“ zwischen verschiedenen Gruppen beschränkt hätte.

In der Gesamtabwägung zwischen den Rechten von B.K. aus Art. 8 der Konvention (Schutz des guten Rufes) und des Rechtes der Beschwerdeführerin auf Meinungsäußerungsfreiheit gemäß Art. 10 der Konvention erweise sich die Wortwahl „verbaler Rassismus“ als zulässig: B.K. habe die Äußerung nicht etwa als Privatperson, sondern als Vorsitzender einer politischen Organisation wissentlich in der Öffentlichkeit getätigt. Deshalb seien die Grenzen zulässiger Kritik weiter gefasst. Auch als – mit 21 Jahren – noch junger Politiker habe er wissen müssen, dass seine Rede zu einem sehr sensiblen öffentlichen Thema eine kritische Reaktion seitens seiner politischen Gegner hervorrufen könne. Die auf diese Weise hervorgerufene Kritik der Beschwerdeführerin sei auch nicht als grundloser persönlicher Angriff oder als Beleidigung aufzufassen.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.11.2018 10:31
Quelle: Dr. Thomas Haug, LL.M. (Exeter)

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