Aktuell in der AfP

Die Grenzen politischer Kunst im Kampf gegen verfassungsfeindliches Gedankengut - Zum Konflikt der Kunstfreiheit mit den Persönlichkeitsrechten von Politikern (Friedrich, AfP 2018, 479)

Nicht erst seit dem „Fall Böhmermann“ gehört die Kollision der Freiheiten des Art. 5 GG mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht Dritter zu den klassischen Grundrechtskonflikten zwischen Privaten. Besonders gilt das für die Kunstfreiheit. Ein aktueller Fall gibt Anlass, sich dem Spannungsfeld erneut aus einem schutzpflichtengeprägten Blickwinkel zu nähern, der ein spezielles Augenmerk auf Protestkunst gegen Politiker in deren privatem Umfeld legt.

I. Ausgangssituation

II. Betroffene Grundrechtsdimensionen

1. Schutzpflichtendimension der Grundrechte

2. Grundrechts(-funktionen-)kollision im mehrpoligen Verfassungsrechtsverhältnis

III. Betroffene Rechtsgüter von Verfassungsrang

1. Rechtsgüter der Künstler: Kunstfreiheit

2. Rechtsgüter des Politikers und seiner Familie

a) Abgeordnetenstatus

b) Allgemeines Persönlichkeitsrecht

c) Schutz der Familie

3. Sonstige relevante Werte von Verfassungsrang

IV. Güterausgleich

1. Abwägungsprobleme im Rahmen mehrpoliger Verfassungsrechtsverhältnisse

2. Abwägungsversuch im Fall des „Denkmals der Schande“

V. Anwendung auf das einfache Recht (Auswahl)

1. Strafrecht

2. Zivilrecht

3. Gefahrenabwehrrecht

VI. Einordnung und Ausblick


I. Ausgangssituation
Auf dem Gebiet aufsehenerregender Kunst- und Protestaktionen verfügt das Berliner "Zentrum für politische Schönheit" (ZPS) über besondere Expertise. Diese hat das Künstlerkollektiv zuletzt mit seinem "Denkmal der Schande" neben dem Privathaus des Fraktionsvorsitzenden der "Alternative für Deutschland" (AfD) im Thüringer Landtag Höcke unter Beweis gestellt. Die Gruppe nahm im November 2017 dessen Entgleisungen – der Politiker hatte das Denkmal für die ermordeten Juden Europas in Berlin als "Denkmal der Schande" bezeichnet und in diesem Zusammenhang eine "erinnerungspolitische Wende um 180 Grad" gefordert – zum Anlass, auf dem dazu eigens angemieteten Nachbargrundstück seines Privathauses mehr als zwanzig Betonstelen zu errichten, die optisch an die Berliner Gedenkstätte erinnern. Ihren Angaben zufolge ist der Nachbau die kritische Reaktion auf eine "schleichende Normalisierung des Faschismus in Deutschland" und die als "Geschichtsrevisionismus" und Verherrlichung nationalsozialistischen Unrechts empfundenen Aussagen.

In der Tat beruht die in jeder Hinsicht verwerfliche Rede auf einer Sicht der Dinge, die man schlicht als verrückt wird bezeichnen müssen. Dennoch haben das Kunstwerk und seine Entstehungsgeschichte massive Kritik auch an den Künstlern selbst provoziert; für Unmut sorgte insb. die später teils revidierte Behauptung des ZPS, man habe den Abgeordneten über Monate hinweg beobachtet und erwäge, die gesammelten Informationen zu veröffentlichen. Bei zivilisiertem Protest ist es freilich nicht geblieben: Teile des Kunstwerks wurden durch Sympathisanten des Politikers beschädigt; die Künstler sahen und sehen sich tätlichen Angriffen und Morddrohungen ausgesetzt und zwischenzeitlich zur Schließung des Kunstwerks veranlasst.

Das Spannungsverhältnis zwischen engagierter Kommunikation und den Persönlichkeitsrechten speziell von Politikern wirft über den Fall hinaus ganz grundlegende rechtliche Fragen auf. Ihnen widmet sich dieser Beitrag. Schon weil auch in Zukunft verstärkt mit kreativem Protest gegen verfassungsfeindliche Positionen wie diejenigen des Abgeordneten Höcke zu rechnen ist, gilt es, die Grenzen solcher Protestkunst gegen Politiker in deren privatem Umfeld zu vergegenwärtigen. Dazu werden im Folgenden die kollidierenden Grundrechtsdimensionen (II.) und Rechtsgüter (III.) skizziert und zueinander ins Verhältnis gesetzt (IV.). Anschließend wird die verfassungsrechtliche Betrachtung für das einfache Recht nachvollzogen (V.).

II. Betroffene Grundrechtsdimensionen
1. Schutzpflichtendimension der Grundrechte

Die Künstler, die in die Rechtssphäre des Politikers eindringen, sind ihrerseits grundrechtsberechtigte (Gegenschluss zu Art. 1 Abs. 3 GG; für das Kollektiv gilt Art. 19 Abs. 3 GG) Private, die von grundrechtlicher Freiheit Gebrauch machen. Im Kern geht es also nicht um Eingriffe, sondern ...

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.12.2018 15:02
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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