EGMR, Urteile vom 20. September 2018, Az. 3682/10, 3687/10, 9765/10 und 70693/11 (Annen gegen Deutschland II-V) rechtskräftig

Zur Unzulässigkeit der Gleichsetzung von Abtreibungen mit dem Holocaust (Babycaust) sowie mit der Straftat eines Mordes

Der EGMR entschied, dass Abtreibungen durch Ärzte nicht mit dem Holocaust verglichen werden dürften und dass die Umschreibung von Abtreibungen als „Mord“ nur dann zulässig sei, wenn klargestellt werde, dass es sich dabei um eine unjuristische Bewertung handele.

Der 1951 geborene deutsche Beschwerdeführer wendet sich gegen zivilrechtliche Untersagungsverfügungen gegen bestimmte Äußerungen auf seiner Website babycaust.de im Rahmen seiner Anti-Abtreibungs-Kampagne sowie gegen seine Verurteilung zur Geldentschädigung wegen der Persönlichkeitsrechtsverletzung von Ärzten.

Mit vier Beschlüssen vom 20. September 2018 (mittlerweile allesamt rechtskräftig) hat der EGMR die auf Art. 10 EMRK gestützten Beschwerden nun verworfen.

Gegenstand des Verfahrens waren Äußerungen des Beschwerdeführers wie

  • "Beten Sie – wenn möglich regelmäßig – für die Mediziner ..., welche den MORD der Abtreibungstötung selbst vornehmen ..."
  • "Wussten Sie schon, dass Dr S. ... Abtreibungen durchführt, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rechtswidrig sind?"
  • "Abtreibung ist 'MORD', es gibt kein anderes WORT!"

Im Vergleich zu einem früheren Verfahren des Beschwerdeführers (Annen gegen Deutschland I, Urteil vom 26. November 2015, Az. 3690/10 = NJW 2016, 1867), in welchem der Gerichtshof noch eine Verletzung von Artikel 10 EMRK festgestellt hatte, urteilte der EGMR nun, dass der Beschwerdeführer vorliegend über den (moralischen) Vorwurf der Abtreibung hinaus nicht die weitere Information bereit gestellt habe, dass das Verhalten der betroffenen Ärzte nicht strafbar war. Der EGMR knüpfte dabei an die Rechtsprechung im nationalen deutschen Instanzenzug an, wo u.a. bemängelt worden war, dass der Beschwerdeführer nicht auf die Vorschrift von § 218a StGB hingewiesen habe, wonach bestimmte Abtreibungen von der Strafbarkeit ausgenommen sind. Denn mit seinen Äußerungen habe der Beschwerdeführer den unzutreffenden Gesamteindruck erweckt, dass die von den betroffenen Ärzten ausgeführten Abtreibungen gegen geltendes Recht verstießen, was eine schwere Verletzung ihrer Persönlichkeitsrechts begründet habe. Selbst wenn man die pranger-artig wirkenden Äußerungen des Beschwerdeführers als Meinung bewerte, fehle es dieser an einer tatsächlichen Grundlage, um die von den Ärzten ausgeführten Abtreibungen als Mord im Sinne von § 211 StGB zu qualifizieren; denn auch Meinungen könnten sich ohne eine tatsächliche Grundlage als „übermäßig“ („excessive“) erweisen.

Auch die Gleichsetzung ärztlicher Tätigkeiten mit den nicht zu rechtfertigenden Gräueltaten an Juden im Naziregime sei nicht hinzunehmen. In dieser Hinsicht wies der EGMR darauf hin, dass der Beschwerdeführer sogar ärztliche Abtreibungen als schwerwiegender bewertet habe als den historischen Holocaust („Den Babycaust mit dem Holocaust gleichzusetzen würde bedeuten die heutigen Abtreibungsmorde zu relativieren“). Solche Anschuldigungen wögen sehr schwer und hätten den guten Ruf des betroffenen Arztes beschädigt. Daher sei sowohl die Verurteilung des Beschwerdeführers zur Unterlassung als auch zum Schadensersatz unter dem Blickwinkel von Artikel 10 der Konvention nicht zu beanstanden.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 03.05.2019 10:57
Quelle: Dr. Thomas Haug, LL.M. (Exeter)

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