EGMR, Beschluss vom 08.01.2019, Az. 64496/17 (Richard Williamson gegen Deutschland)

Zur Anwendbarkeit deutschen Rechts bei von ausländischen Sendern ausgestrahlten Interviews

Eine Verleugnung des Holocaust kann auch dann dem deutschen Strafrecht unterfallen, wenn die Äußerung zwar in einem schwedischen Fernsehsender veröffentlicht wurde, aber dennoch ein deutscher Inlandsbezug besteht.

Der 1940 geborene Beschwerdeführer ist ein katholischer Bischof und lebt in Kent (England). Er war Mitglied der sog. Pius-Bruderschaft. Im November 2008 besuchte er ein Seminar der Bruderschaft in Zaitzkofen (Deutschland), wo er einem Journalisten des schwedischen Fernsehsenders SVT-1 ein Interview gab. Nachdem er zunächst Fragen zu religiösen Themen beantwortet hatte, wechselte der Journalist das Thema, woraus sich ein Dialog ergab, in dessen Verlauf der Beschwerdeführer äußerte, er glaube, dass zur Zeit der Nazi-Herrschaft keine Gaskammern existiert hätten und dass deshalb dort auch keine Juden gestorben sein könnten.

Im Januar 2009 wurde das Interview im schwedischen Fernsehen ausgestrahlt und war auch über die Website des Senders im Internet abrufbar. Das Interview wurde auch im Pay-TV-Sender SVT World über Satellit in Europa ausgestrahlt, der auch in Deutschland zur damaligen Zeit einige tausend Abonnenten hatte. Spätestens ab dem 23. Januar 2009 war das Video zudem über YouTube abrufbar.

Vom Amtsgericht Regensburg wurde der Beschwerdeführer im Jahr 2013 sodann zu einer Geldstrafe wegen Volksverhetzung gem. § 130 Abs. 3 StGB verurteilt. Insbesondere wurde die Anwendbarkeit und der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts unter Hinweis auf den Schwerpunkt der Tathandlung gem. § 9 StGB bejaht („Ort der Tat“). Am 07. März 2017 nahm das Bundesverfassungsgericht seine Verfassungsbeschwerde ohne nähere Begründung nicht zur Entscheidung an (1 BvR 1269/14).

Die dagegen gerichtete und auf Artikel 10 EMRK gestützte Beschwerde verwarf der EGMR nun als offensichtlich unbegründet:

Zunächst verwies der Gerichtshof auf seine ständige Rechtsprechung, wonach ein Verleugnen der Verbrechen des Nationalsozialismus mit den Bestimmungen der Konvention ratione materiae unvereinbar sei (Perinçek gegen Schweiz [Große Kammer] – Urteil vom 15. Oktober 2015, Az. 27510/08; Zusammenfassung in AfP 2016, 129).

Der Beschwerdeführer habe gewusst, dass seine Äußerungen nach deutschem Strafrecht verboten sind. Auch habe er damit rechnen müssen, dass das Interview in Deutschland gesehen werden könnte, insbesondere durch Video-on-Demand-Dienste oder durch Abonnements des schwedischen Fernsehsenders aus dem Ausland.

Es habe ihm zudem bewusst sein müssen, dass seine Äußerungen weltweites Interesse auf sich ziehen könnten, insbesondere auch in Deutschland wegen seiner Geschichte, des Umstandes, dass das Interview in Deutschland erfolgte, und wegen des Umstandes, dass der damalige Papst Benedikt XVI selbst Deutscher war. An dieser Stelle betonte der EGMR „im Lichte ihrer historischen Rolle und Erfahrung eine besondere moralische Verantwortung von Staaten, die die Nazi-Schrecken erlebt haben, sich von den massenhaften Gräueltaten der Nazis zu distanzieren“ (Rn. 27).

Die Verurteilung sei als Eingriff in die Meinungsäußerungsfreiheit des Beschwerdeführers gem. Art. 10 Abs. 2 EMRK „in einer demokratischen Gesellschaft erforderlich“ gewesen, da „die Verleugnung und das Herunterspielen des an den Juden verübten Völkermordes die Würde der jüdischen Opfer herabgesetzt hat und geeignet war, den öffentlichen Frieden in Deutschland zu stören“ (Rn. 26).

Anm. d. Red.: Siehe zur allgemeinen Bedeutung der EMKR in Deutschland und ihrer Auslegung durch den EGMR: Haug, AfP 2016, 223 sowie NJW 2018, 2674.

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 15.07.2019 13:58
Quelle: Dr. Thomas Haug, LL.M. (Exeter), Dipl.-Jur. (Informations- und Medienrecht)

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