Aktuell in der AfP

Der neue Strukturwandel der Öffentlichkeit: Wie lassen sich die sozialen Medien regulieren? (Fehling/Leymann, AfP 2020, 110)

Die öffentliche Meinungsbildung findet vermehrt in sozialen Medien statt. Deren Regulierungsbedürftigkeit hängt nicht zuletzt davon ab, was für ein Demokratieverständnis zugrunde gelegt wird. Von der Gegenüberstellung eines Marktmodells und eines Modells deliberativer Demokratie ausgehend, beleuchtet dieser Beitrag kritisch die vorhandenen Regelungen für soziale Medien und wagt einen Ausblick auf mögliche zukünftige Regulierungsstrategien.

I. Strukturwandel der Öffentlichkeit durch soziale  Medien

II. Zwei Demokratiemodelle mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Regulierungsziele

1. Marktmodell vs. deliberative Demokratie

2. Übertragbarkeit einiger demokratietheoretischer Prämissen aus dem Rundfunkbeitragsurteil des BVerfG auf die sozialen Medien

III. Rudimentäre existierende Regulierung als Folge eines Marktmodells

1. Wettbewerbs- und Kartellrecht

2. Datenschutzrecht

3. Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG)

4. Unanwendbarkeit des Rundfunkstaatsvertrags (RStV)

IV. Weiterreichende Ansätze

1. Einführung eines Medienstaatsvertrag (MStV)

2. Darüber hinausgehende Forderungen

a) Von der rundfunkrechtlichen zu einer medienübergreifenden Konzentrationskontrolle

b) Maßnahmen gegen „Social Bots“

c) Überwindung von Filterblasen

V. Fazit
 

I. Strukturwandel der Öffentlichkeit durch soziale Medien
1
Anfang der 1960er Jahre hat Jürgen Habermas den Strukturwandel der Öffentlichkeit beim Übergang zur bürgerlichen und zur Industriegesellschaft eindringlich beschrieben. Spätestens durch die Digitalisierung beginnt nun aber eine neue Epoche, in der die bisherigen Abgrenzungen zwischen öffentlich und privat, zwischen Individualkommunikation und Massenkommunikation verschwimmen bzw. neu verhandelt werden müssen. Dies geschieht nicht zuletzt durch soziale Medien wie Facebook, (Mikro-)Blogging-Dienste wie Twitter und User-Generated Content Portale wie YouTube, aber auch Suchmaschinen wie Google.

2
Beklagt werden dabei nicht nur die Verrohung der Sitten durch „Hate Speech“ u.Ä. oder die Manipulation der Meinungsbildung durch „Fake News“. Im Raum steht eine zunehmende Fragmentierung der Öffentlichkeit durch „Filterblasen“, wobei freilich die empirischen Grundlagen für einen solchen Befund wohl noch recht dünn sind. Die Frage ist, ob und ggf. wie das Recht auf solche Szenarien durch neue Regulierung reagieren soll.

II. Zwei Demokratiemodelle mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Regulierungsziele
3
Medien – und das gilt über Presse und Rundfunk hinaus zunehmend auch für die neuen sozialen Medien – sind ein Medium, oftmals darüber hinaus aber auch ein eigenständiger Faktor der politischen Meinungsbildung. Deshalb setzt die Frage nach der richtigen Regulierung eine Vergewisserung über das zugrunde gelegte Demokratiemodell und die daraus für die Medien zu ziehenden Konsequenzen voraus. Dies wird in der bisherigen rechtswissenschaftlichen Diskussion, die sich insoweit meist eher punktuell mit politisch gerade besonders aktuellen Einzelproblemen (besonders dem NetzDG) beschäftigt, tendenziell zu sehr vernachlässigt.

1. Marktmodell vs. deliberative Demokratie
4
Vereinfacht und idealtypisch lassen sich zwei konkurrierende Vorstellungen von der politisch-demokratischen Meinungsbildung einander gegenüberstellen.

5
Ein Marktmodell, wie es in der klassischen Formel vom Marktplatz der Meinungen anklingt, vertraut darauf, dass sich im freien Wettbewerb der Meinungsäußerungen wenn schon nicht das Beste, so doch wenigstens etwas Vernünftiges gleichsam durch eine unsichtbare Hand mithilfe eines marktanalogen Interessenausgleichs durchsetzt. Dem Recht kommt dabei im Wesentlichen nur die Aufgabe zu, Wettbewerbsverzerrungen durch ...

 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.05.2020 10:57
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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