BGH v. 27.7.2020 - VI ZR 476/18

EuGH-Vorlage zum Streit über Wahrheitsgehalt von Berichterstattungen

Zu klären ist, was passieren soll, wenn umstritten ist, ob die verlinkte Berichterstattung wahr ist oder falsch. Darüber hinaus geht es um Fragen im Zusammenhang mit der Anzeige von kleinen Vorschaubildern („Thumbnails”), die bei der Suche ohne Kontext in der Trefferliste auftauchen.

Der Sachverhalt:
Der Kläger ist für verschiedene Gesellschaften, die Finanzdienstleitungen anbieten, in verantwortlicher Position tätig oder an ihnen beteiligt. Die Klägerin ist seine Lebensgefährtin und war Prokuristin einer dieser Gesellschaften.

Auf der Webseite eines US-amerikanischen Unternehmens, dessen Ziel es nach eigenen Angaben ist, "durch aktive Aufklärung und Transparenz nachhaltig zur Betrugsprävention in Wirtschaft und Gesellschaft beizutragen", waren im Jahr 2015 mehrere Artikel online, die sich kritisch mit dem Anlagemodell einzelner dieser Gesellschaften auseinandersetzten. Einer dieser Artikel war mit Fotos der Kläger bebildert. Über das Geschäftsmodell der Betreiberin der Webseite wurde seinerseits kritisch berichtet, u.a. mit dem Vorwurf, sie versuche, Unternehmen zu erpressen, indem sie zunächst negative Berichte veröffentliche und danach anbiete, gegen ein sog. Schutzgeld die Berichte zu löschen bzw. die negative Berichterstattung zu verhindern.

Die Kläger machten geltend, ebenfalls erpresst worden zu sein. Sie begehrten von der Beklagten als der Verantwortlichen für die Internetsuchmaschine "Google", es zu unterlassen, die genannten Artikel bei der Suche nach ihren Namen und den Namen verschiedener Gesellschaften in der Ergebnisliste nachzuweisen und die Fotos von ihnen als sog. "thumbnails" anzuzeigen. Die Beklagte erklärte, die Wahrheit der in den verlinkten Inhalten aufgestellten Behauptungen nicht beurteilen zu können.

Das LG hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Kläger blieb ohne Erfolg. Auf die Revision der Kläger hat der BGH das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt.

Gründe:
Zum einen hat der EuGH zu klären, ob es mit den Rechten des Betroffenen auf Achtung seines Privatlebens (Art. 7 GRCh) und auf Schutz der ihn betreffenden personenbezogenen Daten (Art. 8 GRCh) vereinbar ist, bei der im Rahmen der Prüfung seines Auslistungsbegehrens gegen den Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes gem. Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Rechte und Interessen aus Art. 7, 8, 11 und 16 GRCh dann, wenn der Link, dessen Auslistung beantragt wird, zu einem Inhalt führt, der Tatsachenbehauptungen und auf Tatsachenbehauptungen beruhende Werturteile enthält, deren Wahrheit der Betroffene in Abrede stellt, und dessen Rechtmäßigkeit mit der Frage der Wahrheitsgemäßheit der in ihm enthaltenen Tatsachenbehauptungen steht und fällt, maßgeblich auch darauf abzustellen, ob der Betroffene in zumutbarer Weise - z.B. durch eine einstweilige Verfügung - Rechtsschutz gegen den Inhalteanbieter erlangen und damit die Frage der Wahrheit des vom Suchmaschinenverantwortlichen nachgewiesenen Inhalts einer zumindest vorläufigen Klärung zuführen könnte.

Zum anderen bittet der Senat um Antwort auf die Frage, ob im Fall eines Auslistungsbegehrens gegen den Verantwortlichen eines Internet-Suchdienstes, der bei einer Namenssuche nach Fotos von natürlichen Personen sucht, die Dritte im Zusammenhang mit dem Namen der Person ins Internet eingestellt haben, und der die von ihm aufgefundenen Fotos in seiner Ergebnisübersicht als Vorschaubilder ("thumbnails") zeigt, im Rahmen der nach Art. 12 Buchst. b und Art. 14 Abs. 1 Buchst. a DS-RL / Art. 17 Abs. 3 Buchst. a DS-GVO vorzunehmenden Abwägung der widerstreitenden Rechte und Interessen aus Art. 7, 8, 11 und 16 GRCh der Kontext der ursprünglichen Veröffentlichung des Dritten maßgeblich zu berücksichtigen ist, auch wenn die Webseite des Dritten bei Anzeige des Vorschaubildes durch die Suchmaschine zwar verlinkt, aber nicht konkret benannt und der sich hieraus ergebende Kontext vom Internet-Suchdienst nicht mit angezeigt wird.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 27.07.2020 15:20
Quelle: BGH PM Nr. 95 v. 27.7.20

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