Aktuell in der AfP

Vollstreckbarkeit von Urteilen polnischer Gerichte gegen deutsche Medienunternehmen auf der Grundlage des Art. 53o des sog. Holocaust-Gesetzes in Deutschland (Burghardt, AfP 2020, 284)

Mit Art. 53o des sog. Holocaust-Gesetzes sollen der polnische Staat und das polnische Staatsvolk vor rufschädigenden Äußerungen geschützt werden. Die Regelungen richten sich dabei auch an ausländische Medien. Damit stellt sich die Frage, ob auf dieser Grundlage ergangene Urteile polnischer Gerichte auch in Deutschland vollstreckbar sind oder ob ihnen der ordre public-Vorbehalt entgegengehalten werden kann.

I. Ausgangssituation

II. Inhalt des Art. 53o Holocaust-Gesetz

III. Vollstreckbarkeit von polnischen Urteilen auf Grundlage des Art. 53o Holocaust-Gesetz in Deutschland

1. Anwendbarkeit der EuGVVO bei Urteilen auf Grundlage des Art. 53o Holocaust-Gesetz

2. Versagung der Vollstreckung: der ordre public-Vorbehalt

a) Definition des BGH und Vorgaben des EuGH

b) Anknüpfungspunkte für einen ordre public-Verstoß

aa) Persönlichkeitsrecht des Staates und Volkes

bb) Immaterielle Schäden einer juristischen Person

cc) Sanktion statt Kompensation?

dd) Verletzung der Meinungsfreiheit

(1) Reichweite der deutschen Grundrechte

(2) ZDF-Urteil des BGH

(3) Folgen für Urteile auf Grundlage des Art. 53o Holocaust-Gesetz

IV. Fazit


I. Ausgangssituation

1
Am 1.3.2018 trat in Polen das sog. Holocaust-Gesetz in Kraft. Der polnische Gesetzgeber sah sich veranlasst, insb. gegen die häufig verwendete und irreführende Bezeichnung „polnische Todeslager“ für die auf polnischem Boden durch das nationalsozialistische Deutschland errichteten Vernichtungslager vorzugehen. Die neuen Regelungen sollen sich dabei vornehmlich gegen ausländische Medien richten.

2
Das Gesetz sieht sich allerdings erheblicher Kritik ausgesetzt. Der polnische Historiker Borodziej bezeichnet es etwa als Abwehrversuch gegen eine differenzierte historische Aufarbeitung, der die Illusion einer ausschließlich heldenhaften Geschichte Polens schaffen soll. Nach Kaluza ist das Institut des Nationales Gedenkens, welches u.a. für die Verfolgung entsprechender Äußerungen zuständig ist, bereits seit 2010 zu einer Einrichtung zur Propagierung eines heroischen Selbstbilds der Polen und der Diskreditierung politischer Gegner verkommen.

3
Die Kritik – namentlich aus dem Ausland – veranlasste den polnischen Gesetzgeber, zumindest die strafrechtlichen Verfolgungsmöglichkeiten wieder zu beseitigen. Bestehen geblieben ist allerdings die Möglichkeit eines zivilrechtlichen Vorgehens über Art. 53o Holocaust-Gesetz. Dessen Anwendungsbereich ist jedoch keineswegs auf die bereits beschriebenen historisch falschen Bezeichnungen beschränkt. Vor diesem Hintergrund soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit Urteile polnischer Gerichte gegen deutsche Medienunternehmen auf dieser Grundlage in Deutschland vollstreckbar sind.

II. Inhalt des Art. 53o Holocaust-Gesetz
4
Durch Art. 53o Holocaust-Gesetz soll der gute Ruf (dobrego imienia) des polnischen Staats und des polnischen Volkes durch das Zivilrecht geschützt werden. Zu diesem Zweck wird die entsprechende Anwendung der Vorschriften über den Persönlichkeitsschutz nach dem polnischen Zivilgesetzbuch (Kodeks cywilny) angeordnet. Der polnische Staat und das polnische Volk werden dadurch zu Subjekten des Persönlichkeitsrechts. Wie bereits erwähnt, findet sich eine Beschränkung auf historisch unrichtige Bezeichnungen im Wortlaut nicht wieder, so dass ein Vorgehen gegen jedwede polenkritische Äußerung denkbar ist.

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Nach dem polnischen Zivilgesetzbuch steht dem in seinen Persönlichkeitsrechten Verletzten ein Unterlassungs- und ein Beseitigungsanspruch zu. Letzterer verpflichtet die verletzende Person, die zur Beseitigung der Folgen erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, insb. eine Erklärung abzugeben. Diese Erklärung kann etwa ein Widerruf, eine Entschuldigung, eine Richtigstellung, eine Aufklärung bestimmter Fakten oder ...
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 17.09.2020 12:40
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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