Aktuell in der AfP

Die Selbstöffnung im Presserecht (Geßner/Schumacher, AfP 2020, 376)

Immer wieder kommt es zu Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit medialer Berichterstattungen, wenn darin Aussagen enthalten sind, die die Privat- oder Intimsphäre des Betroffenen berühren. In einer Vielzahl von Fällen berufen sich die berichtenden Medienhäuser auf eine Selbstöffnung des Betroffenen, was dazu führt, dass Gerichte diese als flankierende Begründung einer vermeintlich zulässigen (Verdachts-) Berichterstattung heranziehen.

I. Ausgangslage

II. Recht auf Achtung der Privatheit

1. Berechtigtes Informationsinteresse der  Öffentlichkeit

2. Autonomer Bereich der eigenen Lebensgestaltung

III. Selbstöffnung

1. Grundsatz

2. Ausnahme

3. Öffentlichkeit

IV. Zusammenfassung


I. Ausgangslage

1
Ausgangspunkt gerichtlicher Auseinandersetzungen über Berichterstattungen ist in der Regel ein geltend gemachter presserechtlicher Unterlassungsanspruch des Betroffenen aus §§ 1004 Abs. 1 Satz 2 analog, 823 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 2 Abs. 1, 1 Abs. 1 GG auf Unterlassung der von einem Medium publizierten Äußerungen.

2
Streitgegenständlich sind regelmäßig Berichterstattungen über Verdächtigungen von strafrechtlicher Relevanz. Daneben beschäftigen die Gerichte auch Streitigkeiten über die Rechtmäßigkeit von Berichterstattungen, denen ein (unzulässiges) Spekulieren oder ein Gerüchtestreuen über der Privat-/Intimsphäre zuzuordnenden Sachverhalte der betroffenen Person zugrunde liegt. Gegen das Aufbringen und Verbreiten derartiger Gerüchte ist der Betroffene grundsätzlich in gleicher Weise geschützt wie gegen das Verbreiten eines Verdachts, weil ansonsten den Anforderungen an die Zulässigkeit der Äußerung eines Verdachts ohne weiteres dadurch entgangen werden könnte, dass lediglich die Äußerungen Dritter, die den Vorwurf beinhalten, wiedergegeben werden bzw. über diese berichtet wird. Über ein derartiges Gerücht darf die Presse daher nur bei Einhaltung der sie treffenden journalistischen Sorgfaltspflichten berichten. Dabei sind die Anforderungen umso höher, je schwerer und nachhaltiger das Ansehen durch die Veröffentlichung beeinträchtigt wird. Es darf nicht der Eindruck erweckt werden, das Gerücht sei in jedem Fall wahr, es sind zudem auch die den Betroffenen entlastenden Tatsachen mitzuteilen. Erforderlich ist zudem ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für die Wahrheit eines Gerüchts streiten.

3
Hier stellt sich für die betroffene Person wie auch in der anwaltlichen Beratungspraxis zusehends die Frage, ob man auf etwaige Presseanfragen reagiert, sich möglicherweise gegen rufschädliche Vorwürfe oder Gerüchte zur Wehr setzt und (ausführlich) Stellung bezieht, um ggf. so vorab auf die anstehende Berichterstattung im eigenen Sinne einzuwirken, oder ob man das Auskunftsersuchen der Presse ignoriert bzw. mit Allgemeinplätzen abtut und anschließend die möglicherweise reputationsschädliche Berichterstattung im Rahmen eines einstweiligen Verfügungsverfahrens angreift. Das Dilemma liegt auf der Hand. Werden die Medien über bislang unbekannte Informationen und Sachverhalte in Kenntnis gesetzt, besteht das Risiko, dass sich der Betroffene dauerhaft mit einer entsprechenden Berichterstattung abfinden muss. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr einer rufschädigenden und rechtswidrigen Berichterstattung und deren möglicherweise negativen Folgen („irgendetwas bleibt immer hängen“).

4
So oder so – oft kommt es zu einer gerichtlichen Auseinandersetzung. Entweder ist der Betroffene der Ansicht, dass die mitgeteilten, der Privatsphäre zuzuordnenden Informationen in rechtswidriger Weise in die Berichterstattung eingeflossen sind, oder die Berichterstattung ist nach Ansicht des Betroffenen unausgewogen, so dass ein entstellendes und falsches Bild seiner Person gezeichnet wird.

5
In presserechtlichen Streitigkeiten haben die Gerichte wegen der Eigenart des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Rahmenrecht, dessen Reichweite nicht absolut feststeht, grundsätzlich eine Abwägung der widerstreitenden und jeweils grundgesetzlich geschützten Interessen im Rahmen einer Einzelfallprüfung vorzunehmen. Der Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht ist nur dann rechtswidrig, wenn ...
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.11.2020 09:44
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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