EGMR, Urt. v. 7.12.2021 - 44332/16 u.a.

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Rumänien: Kritik an veterinärmedizinischen Entscheidungen mit gesundheitsschädlichen Auswirkungen in Zeitungsartikel

Die Öffentlichkeit muss aufgrund der positiven Verpflichtungen der Behörden gemäß Art. 8 EMRK Zugang zu Informationen haben, die es ihr ermöglichen, die Risiken, denen sie ausgesetzt ist, zu beurteilen. (Daneş u.a. gegen Rumänien - 44332/16, 44829/16, 44839/16)

Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführer sind Vorstandsmitglieder des Nationalen Verbands der Veterinärmediziner Rumäniens. Sie waren in einem Artikel kritisiert worden, der in einer lokalen Wochenzeitung und auf deren Internetseite erschienen war. In dem Artikel wurden u.a. die Gefahren des Inverkehrbringens und der Verwendung nicht verschreibungspflichtiger veterinärmedizinischer Antibiotika thematisiert und den Beschwerdeführern insbesondere vorgeworfen, dass sie in den nationalen Handel mit Tierarzneimitteln verwickelt seien und sich dafür eingesetzt hätten, dass ein Erlass zur verstärkten Überwachung des Inverkehrbringens solcher Arzneimittel außer Kraft gesetzt wurde. Ihre gegen die Zeitung und den Journalisten, der den Artikel verfasst hatte, eingereichten Klagen waren erfolglos geblieben.

Die Gründe:
Der EGMR stellte fest, dass der streitige Artikel darauf abzielte, u.a. die Gefährdung der Gesundheit von Verbrauchern durch Inverkehrbringen und Verwendung nicht verschreibungspflichtiger Tierarzneimittel und die unmittelbare Beteiligung der Beschwerdeführer daran offenzulegen. Zudem sei einer der Gegenstände des Artikels – der Verkauf von ungenießbarem Fleisch – bereits zum Zeitpunkt seiner Veröffentlichung medial thematisiert und in der nationalen Presse diskutiert worden. Bei den in dem Artikel angesprochenen Themen habe es sich um Fragen von allgemeinem Interesse gehandelt, die mit dem Schutz der öffentlichen Gesundheit zusammenhingen, sodass keine Zweifel bestünden, dass die Veröffentlichung des streitigen Artikels einen Beitrag zur Berichterstattung über ein Thema von öffentlichem Interesse darstelle. Der Gerichtshof bekräftigte, dass die Öffentlichkeit aufgrund der positiven Verpflichtungen der Behörden gemäß Art. 8 EMRK Zugang zu Informationen haben müsse, die es ihr ermöglichen, die Risiken, denen sie ausgesetzt ist, zu beurteilen.

Zudem seien die Beschwerdeführer Vorstandsmitglieder einer Berufsorganisation, die vom erstinstanzlichen Gericht als im öffentlichen Interesse handelnd bezeichnet worden war und u.a. aufgrund ihrer beruflichen Tätigkeit bekannte Persönlichkeiten in diesem Bereich. Sie könnten daher nicht in gleicher Weise wie der Öffentlichkeit unbekannte Privatpersonen den Schutz ihres Rechts auf Achtung ihres Privatlebens beanspruchen. Ohnehin beziehe sich der Artikel auf ihre berufliche Tätigkeit, nicht auf ihr Privatleben und sei frei von beleidigenden Äußerungen. Sein Autor habe in gutem Glauben gehandelt, indem er sich auf andere Veröffentlichungen zum gleichen Thema stützte und die gesammelten Informationen zu einem Werturteil verarbeitete. Seine Aussagen seien durch die Aussage eines Tierarztes bestätigt, der ebenso wie er vor dem unkontrollierten Vertrieb von Tierarzneimitteln warnen wollte. Der Autor habe seine Aussagen abgemildert, seine Behauptungen mit Belegen untermauert und sich an einer bereits laufenden Debatte beteiligt. Schließlich hätten die nationalen Gerichte den Verbreitungsgrad und die Zugänglichkeit des Artikels untersucht und seien zu dem Schluss gekommen, dass er in einer lokal erscheinenden Wochenzeitung erschienen war, deren Internetseite im Wesentlichen von Lesern aus der Region besucht wurde. Die Verbreitung des Artikels sei somit begrenzt gewesen.

Die innerstaatlichen Gerichte hätten somit einen gerechten Ausgleich zwischen dem Recht der Beschwerdeführer auf Achtung ihres Privatlebens und dem Recht des Verfassers des Artikels auf freie Meinungsäußerung gefunden und diese konkurrierenden Interessen im Lichte der in EGMR-Rechtsprechung dargelegten Kriterien bewertet.

Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.01.2022 10:11
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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