EGMR Urt. v. 8.11.2022 - 8819/16

Meinungs- und Informationsfreiheit - Deutschland: Verweigerung des Zugangs eines Journalisten zu Akten des Auslandsgeheimdienstes aus Gründen der nationalen Sicherheit

Mangels substantiierten Vortrags des Beschwerdeführers, warum persönlicher Dokumentenzugang unerlässlich sei, verneint der EGMR eine Verletzung von Art. 10 EMRK. (Saure gegen Deutschland)

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer, Hans-Wilhelm Saure, ist Journalist der „Bild“-Zeitung. Er interessierte sich insbesondere für die Erkenntnisse und Ermittlungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu den Umständen des Todes des 1987 verstorbenen ehemaligen schleswig-holsteinischen Ministerpräsidenten Barschel und zu den Gerüchten, dieser habe mit dem Geheimdienst eines osteuropäischen Landes zusammengearbeitet. Saure beantragte beim BND die Gewährung von persönlicher Einsicht und die Anfertigung von Kopien u.a. in die dort über Barschel geführten Akten. Sein Antrag wurde mit dem Argument abgelehnt, die Dokumente erfüllten nicht die Voraussetzungen für eine Veröffentlichung, da sie weniger als 30 Jahre alt seien. Eine dagegen gerichtete Beschwerde, Klage vor dem BVerwG und Verfassungsbeschwerde blieben erfolglos. Auf Grundlage einer außergerichtlichen Vereinbarung zwischen Saure und dem BND erhielt er jedoch eine Zusammenfassung der freigegebenen Informationen des BND über die Umstände des Todes von Barschel.

Die Gründe:
Der Gerichtshof wies einleitend erneut darauf hin, dass Art. 10 EMRK kein absolutes Recht auf Zugang zu den Informationen einer Regierungsbehörde beinhalte. Er bewertete den Fall insofern als besonders, als die inländischen Behörden den Antrag Saures auf Zugang zu den Akten des BND über Barschel nicht als solchen abgelehnt, sondern Informationen über den Inhalt dieser Akten weitergegeben hatten, womit dem Antrag teilweise entsprochen worden sei. Selbst wenn man davon ausgehe, dass der persönliche Zugang zu den fraglichen Akten für die Ausübung des Rechts Saures auf freie Meinungsäußerung von entscheidender Bedeutung gewesen wäre und die Verweigerung somit einen Eingriff in seine Rechte aus Art. 10 EMRK darstellte, so sei sie in jedem Fall nach Art. 10 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt: Sie sei im Einklang mit dem Gesetz, verfolgte die legitimen Ziele des Schutzes der nationalen Sicherheit und der Verhinderung der Weitergabe von vertraulichen Informationen und war auch in einer demokratischen Gesellschaft notwendig.

Die Staaten verfügten im Bereich der nationalen Sicherheit über einen weiten Ermessensspielraum, und für Verschlusssachen eines Nachrichtendienstes könnten zusätzliche Zugangsbeschränkungen rechtmäßig sein, da der gewünschte persönliche Zugang zu den Akten auch Informationen über seine interne Funktionsweise und Arbeitsmethoden offenlegen würde. Gleichzeitig müssten die Begriffe der nationalen und der öffentlichen Sicherheit zurückhaltend angewandt, restriktiv ausgelegt und nur dann angeführt werden, wenn nachgewiesen sei, dass die Veröffentlichung der Informationen zu ihrem Schutz unterdrückt werden müsse. Der EGMR sei zwar nicht in der Lage, Entscheidungen der nationalen Behörden über das Vorliegen der nationalen Sicherheit anzufechten, prüfe aber das nationale Entscheidungsverfahren im Interesse der Konzepte der Rechtmäßigkeit und der Rechtsstaatlichkeit in einer demokratischen Gesellschaft, um sicherzustellen, dass es angemessene Garantien zum Schutz der Interessen der betroffenen Person vorsieht.

Saure habe vorliegend Zugang zu einem kontradiktorischen Verfahren auf Verwaltungsebene vor dem BND und anschließend vor dem BVerwG gehabt. Im Hinblick auf das Verfahren über eine Entscheidung auf Akteneinsicht sei ein Antragsteller verpflichtet, den Zweck seines Antrags vor den innerstaatlichen Behörden, gegebenenfalls im Verfahren vor den innerstaatlichen Gerichten, zu begründen, wobei abstrakte Argumente nicht ausreichen würden. Die innerstaatlichen Behörden hätten die Verhältnismäßigkeit einer Zugangsverweigerung nämlich anhand der ihnen zur Verfügung gestellten Informationen zu beurteilen.

Vorliegend hätten die Behörden Informationen über den Inhalt der fraglichen Akten offengelegt, die Saure nicht bestritten habe, weshalb es seine Pflicht gewesen sei darzulegen, warum die persönliche Einsichtnahme in die Akten für die Ausübung seines Rechts auf freie Meinungsäußerung unerlässlich gewesen sei. Dies habe er jedoch nicht getan und vor den innerstaatlichen Gerichten auch nicht behauptet, daran gehindert worden zu sein. Er habe sich vielmehr auf einen allgemeinen Hinweis auf seine Überwachungsfunktion als Journalist, auf das öffentliche Interesse an den Umständen und auf den erheblichen Umfang der betreffenden Akten beschränkt. Der BND habe im Verfahren vor dem BVerwG eingeräumt, dass sich das Auskunftsrecht der Presse zu einem Recht auf persönliche Akteneinsicht verdichten könne, aber darauf hingewiesen, dass Saure hierzu keinen substantiierten Vortrag gehalten habe. Dennoch sei Saure weder in seiner anschließenden Verfassungsbeschwerde zum BVerfG noch vor dem EGMR darauf eingegangen: Er habe nicht klar dargelegt, warum er persönlichen Zugang zu den Dokumenten benötige, sodass den innerstaatlichen Behörden und Gerichten nicht vorgeworfen werden könne, dass sie es versäumt haben, eine Abwägung zwischen dem Informationsbedürfnis Saures und der Öffentlichkeit und dem Geheimhaltungsbedürfnis des BND vorzunehmen, ob also das Interesse an einem persönlichen Zugang zu bestimmten Dokumenten die nationalen Sicherheitsinteressen überwogen hätte. Die innerstaatlichen Institutionen hätten daher im Rahmen ihres Ermessens gehandelt, als sie den Antrag ablehnten.

Auf das von Saure vorgetragene Argument, der Tod Barschels habe sich zu einem länger als 30 Jahre zurückliegenden Zeitpunkt zugetragen, ging der EGMR nicht ein.

Der EGMR verneinte mit 4:3 Stimmen eine Verletzung von Art. 10 EMRK. Mehrere Richter trugen abweichende Meinungen vor.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.11.2022 09:45
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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