EGMR v. 20.6.2023 - 36705/16
Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Griechenland: Veröffentlichung von Fotografien und personenbezogenen Daten eines Beschuldigten in einem Strafverfahren in der Presse
Die Beschwerdeführerin hätte vor Veröffentlichung personenbezogener Daten und Fotografien informiert und angehört werden müssen; zudem fehlte es an Rechtschutzmöglichkeiten. (Margari gegen Griechenland)
Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerin war wegen Beihilfe zum Betrug, zur Urkundenfälschung und zur Verwendung gefälschter Dokumente sowie wegen Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung angeklagt worden. Daraufhin wurden für einen Zeitraum von sechs Monaten das Lichtbild und personenbezogene Daten der Beschwerdeführerin durch verschiedene Medien und einschlägige Websites, inklusive der Website der griechischen Polizei, mit dem Ziel veröffentlicht, die Gesellschaft vor ähnlichen Handlungen zu schützen und um zu ermitteln, ob es weitere Fälle gebe, an denen die Beschuldigte beteiligt war. Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass die Veröffentlichung auf Anordnung der Staatsanwaltschaft erfolgt sei, ohne dass sie davon Kenntnis gehabt habe, ohne dass sie die Möglichkeit gehabt habe, die Entscheidung anzufechten und ohne dass sie hinsichtlich der ihr zur Last gelegten Straftaten von ihren Mitbeschuldigten unterschieden worden sei, wodurch in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt worden sei, dass ihr schwerere Straftaten bzw. Formen von Straftaten zur Last gelegt worden seien, als dies tatsächlich der Fall gewesen sei. Die Beschwerdeführerin wurde zwischenzeitlich zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Sie gilt als flüchtig.
Die Gründe:
Der EGMR erinnerte eingangs daran, dass die Notwendigkeit des Schutzes der Vertraulichkeit bestimmter Arten personenbezogener Daten bisweilen hinter das öffentliche Interesse an der Ermittlung und Verfolgung von Straftaten und am öffentlichen Charakter von Gerichtsverfahren zurückstehen müsse. Allerdings müsse jede Veröffentlichung personenbezogener Daten einer Person, unabhängig davon, ob sie Partei oder Dritte in einem gerichtlichen Verfahren ist, einem zwingenden gesellschaftlichen Bedürfnis entsprechen und unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Verfahrens auf das unbedingt Erforderlich begrenzt sein. Insbesondere mit Blick auf die Veröffentlichung eines Fotos müssten zwingende Gründe vorliegen. Behörden seien zwar berechtigt, die Öffentlichkeit über laufende strafrechtliche Ermittlungen zu informieren, müssten dies aber zur Wahrung der Unschuldsvermutung mit aller erforderlichen Diskretion und Umsicht tun. Die Veröffentlichung von Fotos von Verdächtigen an sich könne jedoch keinen Verstoß gegen die Unschuldsvermutung darstellen.
Vorliegend sei die Veröffentlichung zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer erfolgt und habe somit legitime Ziele im Sinne von Art. 8 Abs. 2 EMRK verfolgt. Mit der Verbrechensbekämpfung habe sie auch einem hinreichend dringenden gesellschaftlichen Bedürfnis gedient. Allerdings sei die Veröffentlichung in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig gewesen. Zwar habe sie nur die Informationen umfasst, die zur Erreichung der angestrebten Ziele unbedingt erforderlich waren, ohne jeden weitere Indikator, der als möglicher Verstoß gegen die Unschuldsvermutung angesehen werden könnte. Insbesondere habe sich die Beschwerdeführerin nicht in Haft befunden; die Behörden hätten legitimerweise die Öffentlichkeit um Unterstützung bitten können, um zu ermitteln, ob es weitere Straftaten gab, an denen die Beschwerdeführerin und ihre Mitangeklagten beteiligt gewesen sein könnten.
Die Beschwerdeführerin sei jedoch weder vor noch nach der Veröffentlichung ihres Fotos und ihrer personenbezogenen Daten offiziell darüber in Kenntnis gesetzt worden, sondern erfuhr davon zufällig durch Freunde. Auch wenn das griechische Recht ein derartiges Unterlassen für den besonderen Fall der Gründung einer kriminellen Vereinigung oder des Beitritts in eine solche vorsehe, hätte die Beschwerdeführerin vor der Verbreitung ihres Fotos und der Einzelheiten der anhängigen Strafanzeigen zumindest benachrichtigt werden müssen, da die Tatsache, dass sie Gegenstand eines Strafverfahrens war, den Umfang des umfassenderen Schutzes ihres Privatlebens, den sie als „normale Person“ genoss, nicht eingeschränkt habe. Zudem habe die Beschwerdeführerin kein Recht gehabt, gegen die Anordnung der Staatsanwaltschaft zur Veröffentlichung ihres Fotos und ihrer personenbezogenen Daten Rechtsmittel einzulegen. Damit sei das Entscheidungsverfahren weder fair gewesen, noch habe es geschützte Interessen gebührend berücksichtigt, da die Beschwerdeführerin weder die Möglichkeit, vor dem Erlass der Entscheidung angehört zu werden, noch nach dem Erlass der Entscheidung eine Überprüfung zu beantragen und ihre Argumente vorzubringen, gehabt habe. Zudem sei es von größter Bedeutung, dass bei der Veröffentlichung sensibler Daten im Rahmen eines anhängigen Strafverfahrens oder im Rahmen der Ermittlung von Straftaten diese Daten die Situation und die gegen einen Beschuldigten anhängigen Anschuldigungen genau wiedergeben, wobei auch die Einhaltung der Unschuldsvermutung zu beachten sei. Vorliegend sei aber in der polizeilichen Bekanntmachung der Eindruck entstanden, die Beschwerdeführerin sei der Gründung einer kriminellen Vereinigung angeklagt, obwohl sie tatsächlich nur des Beitritts zu einer solchen Vereinigung beschuldigt worden sei.
Der EGMR bejahte mit 4:3 Stimmen eine Verletzung von Art. 8 EMRK.