BGH v. 28.4.2020 - X ZR 60/19

Gescheiterte Telefax-Übermittlung kurz vor Fristablauf: Keine Verpflichtung zur Suche nach einem Rechtsanwaltskollegen für Versand per beA

Ein Patentanwalt, der kurz vor Ablauf der dafür maßgeblichen Frist feststellt, dass die Telefax-Übermittlung einer Berufungsbegründung in einem Patentnichtigkeitsverfahren wegen nicht von ihm zu vertretender technischer Probleme voraussichtlich scheitern wird, ist nicht verpflichtet, nach einem Rechtsanwalt zu suchen, der den Versand für ihn über das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) vornehmen kann.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin wendet sich gegen die erstinstanzliche Abweisung einer Patentnichtigkeitsklage. Zur Begründung ihrer fristgerecht eingelegten Berufung hat einer ihrer Prozessbevollmächtigten, ein Patentanwalt, am letzten Tag der bis 4.11.2019 verlängerten Frist per Telefax einen Schriftsatz an die Geschäftsstelle des Senats übermittelt. Von den insgesamt 39 Seiten dieses Dokuments sind lediglich 35 Seiten vor 0 Uhr des Folgetags eingegangen, die weiteren vier Seiten einschließlich der letzten Seite mit der Unterschrift erst kurz danach.

Die Klägerin trägt im Wesentlichen vor, der mit der Sache befasste Patentanwalt habe die Übertragung des Schriftsatzes gegen 22:40 Uhr unter Nutzung des funktionsfähigen elektronischen Fax-Systems der Kanzlei veranlasst. Der Übermittlungsvorgang habe um 22:59 Uhr begonnen. Der Patentanwalt habe aufgrund von Erfahrungen mit vergleichbaren Schriftsätzen mit einer Übertragungszeit von 20 Minuten gerechnet. Als um 23:30 Uhr der Versand noch nicht erfolgreich abgeschlossen gewesen sei, habe er nach alternativen Möglichkeiten zur Übersendung per Telefax gesucht. Nach einigen Mühen habe er einen Internet-Anbieter ausfindig gemacht, der keine vorherige Registrierung verlange. Um 23:54 Uhr habe er über diesen Dienst einen zweiten Sendevorgang gestartet. Die Klägerin beantragt Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Die Beklagte tritt dem Gesuch entgegen.

Der BGH gab dem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand statt.

Die Gründe:
Die Klägerin hat hinreichend dargetan und glaubhaft gemacht, dass die Versäumung der Frist nicht auf einem eigenen oder einem ihr gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechenbaren Verschulden ihrer Prozessbevollmächtigten beruht.

Bei einer Übermittlung per Telefax hat der Versender mit der ordnungsgemäßen Nutzung eines funktionsfähigen Sendegeräts und der korrekten Eingabe der Empfängernummer das seinerseits Erforderliche zur Fristwahrung getan, wenn er so rechtzeitig mit der Übermittlung begonnen hat, dass unter normalen Umständen mit ihrem Abschluss vor 0 Uhr zu rechnen gewesen ist. Das ist in der Regel der Fall, wenn eine Übermittlungszeit von dreißig Sekunden pro Seite angesetzt wird und der sich daraus ergebende Wert im Hinblick auf die Möglichkeit einer anderweitigen Belegung des Empfangsgeräts sowie schwankende Übertragungsgeschwindigkeiten um einen Sicherheitszuschlag von etwa zwanzig Minuten erhöht wird.

Hat der Versender diese Vorgaben eingehalten, trifft ihn kein Verschulden, wenn die Übermittlung wegen technischer Störungen am Empfangsgerät oder auf dem Übermittlungsweg einen längeren Zeitraum beansprucht. Allerdings darf er angezeigte Störungen nicht vorschnell zum Anlass nehmen, von weiteren Sendeversuchen abzusehen. Vielmehr ist er gehalten, ihm erkennbar gewordene Übermittlungsfehler bis zum Fristablauf zu beheben und zumindest weitere Übermittlungsversuche zu unternehmen, um auszuschließen, dass die Übermittlungsschwierigkeiten in seinem Bereich liegen.

Vorliegend hat der mit der Sachbearbeitung befasste Patentanwalt die vom BGH für die Übersendung von Schriftsätzen bereitgestellte Fax-Nummer benutzt und der erste Übermittlungsvorgang um 22:59 Uhr begonnen. Die damit zur Verfügung stehende Zeit von gut einer Stunde war ausreichend. Der Patentanwalt hat auch pflichtgemäß einen weiteren Übermittlungsversuch unternommen, nachdem er festgestellt hatte, dass der erste Versuch ungewöhnlich viel Zeit in Anspruch nimmt. Seine Entscheidung, die zweite Übermittlung mit einem anderen System vorzunehmen, ist nicht zu beanstanden.

Ein der Klägerin zurechenbares Verschulden ergibt sich auch nicht daraus, dass der mit der verantwortlichen Sachbearbeitung betraute Patentanwalt das Dokument nicht über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach (beA) versendet hat. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob ein Rechtsanwalt in vergleichbarer Lage verpflichtet wäre, einen Sendeversuch über dieses Medium zu unternehmen. Ein Patentanwalt, der nicht über ein besonderes elektronisches Anwaltspostfach verfügt, ist jedenfalls nicht verpflichtet, kurz vor Fristablauf nach einem Rechtsanwalt zu suchen, der den Versand für ihn vornehmen kann.


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 28.05.2020 11:11
Quelle: BGH online

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