Aktuell in der AfP

Erweitertes Amtsblatt, Stadtzeitung und kommunales Internetportal nach dem Urteil des BGH "Crailsheimer Stadtblatt II" (Degenhart, AfP 2020, 185)

Der BGH hat in seinem Urt. v. 20.12.2018 „Crailsheimer Stadtblatt II“ erneut das Gebot der Staatsferne der Presse bestätigt und hieraus enge Grenzen für die Publikationstätigkeit der Kommunen entwickelt. Hieran und an der Qualifizierung als Marktverhaltensregel i.S.d. UWG ist entgegen geäußerter Kritik festzuhalten. Dies gilt gleichermaßen für kommunale Internetportale.

I. Sachverhalt und aktuelle Entwicklungen

II. Rechtliche Ausgangslage

1. Rechtsprechung: BGH „Crailsheimer Stadtblatt II“

2. Rezeption durch die Instanzgerichte, Problemfälle

III. Gebot der Staatsferne kommunaler Medien: Bedeutung für kommunales Informationshandeln

1. Staatsferne als Verfassungsgebot

a) Pressefreiheit und Staatsferne

b) Staatsferne und „elektronische Presse“

2. Funktionsverbote und Kompetenzen

a) Öffentlichkeitsarbeit und Informationspflichten

b) Ausgleich von „Informationsdefiziten“? „All the News That’s Fit to Print“ – wer entscheidet?

c) Unverkürzte Geltung für die lokale Ebene

IV. Kommunale Selbstverwaltung und Staatsferne

1. Kommunalrechtliche Unterrichtungspflicht, § 20 GO BW

2. Selbstverwaltungsgarantie

a) Selbstverwaltung in der Kompetenzordnung

b) Universalität des gemeindlichen Wirkungskreises?

V. Lauterkeitsrecht

VI. Bilanz


I. Sachverhalt und aktuelle Entwicklungen

1
Auch nach dem Urteil des BGH v. 20.12.2018 „Crailsheimer Stadtblatt II“ erweitern Gemeinden ihre herkömmlichen Amtsblätter in gedruckter und elektronischer Form zu „Stadtzeitungen“ mit umfangreichem, redaktionellem Teil und in pressemäßiger Aufmachung. Sie erscheinen periodisch, meist in verhältnismäßig – bezogen auf das Verbreitungsgebiet – hoher Auflage, werden, soweit sie in gedruckter Form erscheinen, kostenlos verteilt und sind bei elektronischer Verbreitung online frei zugänglich. In den Inhalten weisen sie eine erhebliche Bandbreite auf. Einige Städte betreiben auch eigenständige Internetportale, über die sie redaktionell gestaltete Inhalte und Werbung verbreiten. Für Onlinepublikationen der Kommunen ist zu unterscheiden zwischen der unveränderten Verbreitung der Printversion des kommunalen Amtsblatts bzw. der Stadtzeitung auf elektronischem Weg und selbständigen elektronischen Publikationen. So enthält das Internetportal „muenchen.de“ neben dem Angebot des „virtuellen Rathauses“ vor allem allgemeine redaktionelle Informationsangebote bezogen auf die Stadt München, aber auch für das Umland. Ähnlich weit gefasst ist das Informationsangebot unter dortmund.de.

II. Rechtliche Ausgangslage
1. Rechtsprechung: BGH „Crailsheimer Stadtblatt II“

2
In seinem Urteil „Crailsheimer Stadtblatt II“ entwickelt der 1. Zivilsenat des BGH maßgebliche Grundsätze für die Beurteilung kommunaler Publikationen, nachdem er sich bereits zu „Einkauf aktuell“ 2011 grundsätzlich zur Pressefreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als Gebot der Staatsferne der Presse und zu dessen Qualifikation als Marktverhaltensregelung im Lauterkeitsrecht geäußert hatte. „Das Gebot der Staatsferne der Presse lässt eine pressemäßige Betätigung von Hoheitsträgern nur im Rahmen der ihnen zugewiesenen Aufgaben und nur insoweit zu, als die Garantie des Instituts der freien Presse aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht gefährdet wird.“ Dies gilt auch für die Gemeinden als ein „Stück Staat“. Ob das Grundrecht des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG als Grundlage einer „negativen Kompetenzordnung“ herangezogen wird oder die Schranken unmittelbar aus der Kompetenzordnung des Grundgesetzes herzuleiten sind, ist nicht nur im Ergebnis unerheblich. Denn die Kompetenzen sind im Hinblick auf das Grundrecht der Pressefreiheit zu bestimmen, kompetenzwidrige Publikationstätigkeit verstößt hiergegen. Eben dies ist auch der Ansatz des BGH. Er bestimmt Umfang und Grenzen des Gebots der Staatsferne „unter Berücksichtigung der ... gemeindlichen Kompetenzen einerseits und der Garantie des Instituts der freien Presse des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG andererseits“.

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Der BGH bestreitet keineswegs die Befugnis der Gemeinden, Öffentlichkeitsarbeit zu betreiben, lehnt es jedoch zu Recht ab, aus der „Allzuständigkeit“ der Gemeinde einen eigenständigen Kompetenztitel für pressemäßige Betätigung abzuleiten und bestätigt die Einschätzung der Selbstverwaltungsgarantie als Aufgabenverteilungsprinzip der Staatsorganisation. Wenn hierin eine Ermächtigung zur Information der Bürgerinnen und Bürger liegt, so erlaubt sie den Kommunen gleichwohl „nicht jegliche pressemäßige Äußerung, die irgendeinen Bezug zur öffentlichen Gemeinschaft aufweist (...) Die innere Grenze wird durch den erforderlichen Bezug auf die Gemeinde und ihre Aufgaben gesetzt; die äußere Grenze zieht die Garantie des Instituts der freien Presse.“ Ausdrücklich zurückgewiesen wird der Gesichtspunkt einer Schließung vorgeblicher Informationslücken.

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Für die Beurteilung einer gemeindlichen Publikation sind, so der BGH, zunächst Art und Inhalt der veröffentlichten Beiträge zu untersuchen, insb. auf Zugehörigkeit zum Aufgabenbereich der Gemeinde. Unter Einbeziehung des äußeren Erscheinungsbilds ist dann eine wertende Gesamtbetrachtung vorzunehmen. Darüber hinaus erwägt der Senat mögliche Fälle einer punktuellen, anlassbezogenen und situationsgebundenen Öffentlichkeitsarbeit bei besonderen Gefahrenlagen oder unklaren krisenhaften Situationen, die sich aber nicht zu allgemeiner Pressetätigkeit ausweiten darf. Für die entscheidende Gesamtbewertung schließlich kommt es darauf an, in welchem Maß die kommunale Publikation den Bereich der ohne weiteres zulässigen Berichterstattung verlässt und als funktionales Äquivalent zu einer privaten Zeitung wirkt, wobei maßgeblich auch auf....
 


Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.06.2020 10:26
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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