OLG Zweibrücken v. 26.4.2021 - Az. 1 U 141/19

Wie lange dürfen in Verfahren der Bauleitplanung urheberrechtlich geschützte Landkarten online bleiben?

Im Rahmen der richtlinienkonformen Anwendung der Schrankenregelung des § 45 Abs. 1 und 3 UrhG erfordert der Drei-Stufen-Test des Art 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nicht nur eine Prüfung der Gebotenheit der Nutzung des geschützten Werks durch eine Verwaltungsbehörde, sondern auch einen beständigen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Nutzung und dem behördlichen Verfahren. Dieser zeitliche Zusammenhang besteht in Verfahren der Bauleitplanung im Falle der öffentlichen Zugänglichmachung des Werks über das Internet nach §§ 3 Abs. 2, 4a Abs. 4 BauGB nur bis zum Abschluss des Verfahrensabschnitts der Öffentlichkeitsbeteiligung.

Der Sachverhalt:
Die Klägerin bietet unter ihrer Internetadresse Landkarten und Stadtpläne zur lizenzpflichtigen Nutzung an. Die beklagte rheinland-pfälzische Verbandsgemeinde stellte auf der von ihr für die Stadt Kastellaun betriebenen Internetseite einen Kartenausschnitt ein, an dem die Klägerin die ausschließlichen urheberrechtlichen Nutzungsrechte hat. Die Beklagte hatte den Kartenausschnitt im Rahmen eines bauplanungsrechtlichen Verfahrens zur Umgestaltung eines Supermarkts als inhaltlichen Bestandteil des von einem Bauwilligen beauftragten Exposés eines privaten Planungsbüros erhalten, mit dem eine „atypische Fallgestaltung“ i.S.v. § 11 Abs. 3 Satz 4 BauNVO geltend gemacht wurde. Hiermit wollte die Beklagte der sie gem. § 4a Abs. 4 BauGB treffenden Pflicht genügen, Planunterlagen in das Internet einzustellen. Die Beklagte verfügte über kein Nutzungsrecht an dem Kartenausschnitt.

Das LG hat die von der Klägerin nach erfolgloser Abmahnung erhobene Unterlassungsklage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat der erkennende Senat den von der Beklagten reklamierten Ausschluss des Urheberrechtsschutzes nach § 5 UrhG verneint und der Klage stattgegeben. Auf die zugelassene Revision der Beklagten hat der BGH (Urt. v. 21.1.2021 – Az.: I ZR 59/19) das Senatsurteil aufgehoben und die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung in die Berufungsinstanz zurückverwiesen. Dabei hat der BGH den rechtlichen Ansatzpunkt des Senats für zutreffend erachtet, dass der als Bestandteil des Exposés veröffentlichte Kartenausschnitt im Streitfall kein amtliches Werk i.S.v. § 5 UrhG ist. Es müsse jedoch geprüft werden, ob die Schrankenregelung des § 45 Abs. 1 und 3 UrhG dem von der Klägerin geltend gemachten Anspruch entgegensteht.

In dem wiedereröffneten Berufungsverfahren hat das OLG der Klage erneut stattgegeben.

Die Gründe:
Die Unterlassungsklage ist nach § 97 Abs. 1 UrhG i.V.m. § 19a UrhG begründet.

Gemäß der urheberrechtlichen Schrankenbestimmung des § 45 Abs. 1 und 3 UrhG sind Verwertungshandlungen einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung zur Verwendung in Verfahren vor einer Behörde grundsätzlich zulässig. Diese Zulässigkeit unterliegt allerdings dem Drei-Stufen-Test des Art. 5 Abs. 5 der RL 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (BGH-Urt. v. 21.1.2021 – Az.: I ZR 59/19), der zur Vermeidung unverhältnismäßiger (staatlicher) Eingriffe in Urheberrechtspositionen in seiner dritten Stufe erfordert, dass durch die Verwertung berechtigte Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.

Im Rahmen der richtlinienkonformen Anwendung der Schrankenregelung des § 45 Abs. 1 und 3 UrhG erfordert der Drei-Stufen-Test des Art 5 Abs. 5 der Richtlinie 2001/29/EG nicht nur eine Prüfung der Gebotenheit der Nutzung des geschützten Werks durch eine Verwaltungsbehörde, sondern auch einen beständigen zeitlichen Zusammenhang zwischen der Nutzung und dem behördlichen Verfahren. Dieser zeitliche Zusammenhang besteht in Verfahren der Bauleitplanung im Falle der öffentlichen Zugänglichmachung des Werks über das Internet nach §§ 3 Abs. 2, 4a Abs. 4 BauGB nur bis zum Abschluss des Verfahrensabschnitts der Öffentlichkeitsbeteiligung und nicht bis zum förmlichen Abschluss des Planaufstellungsverfahrens.

Im Streitfall war die Öffentlichkeitsbeteiligung gem. § 3 Abs. 2 BauGB von der Behörde zwischen dem 13.8.2012 und dem 13.9.2012 durchgeführt worden. Danach war die Bürgerbeteiligung beendet und das Exposé wurde mit dem streitgegenständlichen Kartenausschnitt von der öffentlich einsehbaren Webseite der Beklagten entfernt. Es befand sich allerdings unbestritten noch im Hintergrund der kommunalen Internet-Präsenz (Back-End); bei Eingabe des Suchbegriffs „atypische Fallgestaltung" war der Kartenausschnitt jedenfalls weiterhin abruffähig. Damit wurde der Tatbestand der öffentlichen Zugänglichmachung gem. § 19a UrhG weiterhin verwirklicht. Im Zeitpunkt des Auffindens des Kartenausschnitts durch die Klägerin im Februar 2014 war der Eingriff der Beklagten in ihr Urheberrecht danach jedenfalls nicht (mehr) durch die Schrankenregelung des § 45 Abs. 1 und 3 UrhG gerechtfertigt.

Die der Beklagten sonach anzulastende Urheberrechtsverletzung indiziert die Wiederholungsgefahr. Nachdem mit der Klage allein ein verschuldensunabhängiger Unterlassungsanspruch verfolgt wird, ist unerheblich, ob die Beklagte die Verletzungshandlung vorwerfbar begangen hat.



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 24.08.2021 12:03
Quelle: Justizportal Rheinland-Pfalz

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