Aktuell in der AfP

Die Schmähkritik – überflüssig nicht nur im Meinungsdiskurs (Gaul , AfP 2022, 111)

Zwei jüngere Entscheidungen des BVerfG zur Reichweite der Meinungsfreiheit mit prominenten Beschwerdeführern haben den Begriff der Schmähkritik wieder in das Licht der Öffentlichkeit gerückt. Die Verfassungsbeschwerde des Fernsehmoderators Jan Böhmermann nahm das BVerfG mit Beschl. v. 26.1.2021 nicht zur Entscheidung an (BVerfG v. 26.1.2022 – 1 BvR 2026/19). Die Grünen-Politikerin Renate Künast hingegen hatte vor dem BVerfG Erfolg (BVerfG v. 19.12.2021 – 1 BvR 1073/20). Während sich Böhmermann auf die Meinungsfreiheit berief, sah sich Künast in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletzt. Beide Verfahren zeigen somit das schwierige Spannungsverhältnis zwischen den beiden Grundrechten auf. Die hierzu durch das BVerfG entwickelte Figur der Schmähkritik wird in dem Beitrag analysiert und kritisch hinterfragt.

I. Ausgangssituation
II. Begriff der Schmähkritik

1. Definition
2. Abgrenzung
a) Formalbeleidigung
b) Angriff auf die Menschenwürde
3. Zwischenfazit
III. Funktion der Schmähkritik
1. Schmähkritik als Orientierungshilfe für die Abwägung
2. Konsequenzen für das fachgerichtliche Verfahren
IV. Verfassungsrechtliche Einordnung der Schmähkritik
1. Schutzbereichsausnahme
a) Analyse der Rechtsprechung
b) Rechtsvergleich mit Art. 10 EMRK
aa) Verhältnis zwischen EMRK und GG
bb) Rechtsprechung des EGMR zu ehrverletzenden Äußerungen
2. Abwägungsleitlinie
3. Stellungnahme
V. Fazit


I. Ausgangssituation

1
„Schmähkritik, das ist ein juristischer Ausdruck, also: was ist Schmähkritik?“ Diese Frage stellte Jan Böhmermann seinem Sidekick Ralf Kabelka in der Sendung, die der Verfassungsbeschwerde des Fernsehmoderators zugrunde lag. Während Kabelka sofort eine Antwort geben konnte („Wenn du Leute diffamierst. Wenn du einfach nur so untenrum argumentierst. Wenn du die beschimpfst und wirklich nur bei privaten Sachen, die die irgendwie ausmachen, herabsetzt.“), fällt dies dem Verf. deutlich schwerer und auch in der Literatur wird angemerkt, dass alles andere als klar ist, was unter Schmähkritik eigentlich zu verstehen ist.

2
Zwar umschreibt die Schmähkritik grob gesagt tatsächlich Äußerungen mit ehrverletzenden beleidigenden Inhalten. Die Frage, was unter der Rechtsfigur der Schmähkritik zu verstehen ist, stellt sich jedoch auf mehreren Ebenen. Zum einen geht es um die definitorische Ebene, also darum, welche Äußerungen der Schmähkritik zu subsumieren sind und von welchen anderen ähnlich gelagerten Fällen sie abzugrenzen ist. Zum anderen ist weitestgehend unklar, wie die Schmähkritik rechtsdogmatisch einzuordnen ist. Schränkt sie bereits den sachlichen Schutzbereich der Meinungsfreiheit ein oder hat sie lediglich Konsequenzen für die Abwägung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht? 3 Letztlich ist die Schmähkritik jedoch grundsätzlich zur Disposition zu stellen: Ist sie eine sinnvolle Leitlinie für die Fachgerichte zur Einordnung der Strafbarkeit von Äußerungen oder erweist sie sich am Ende kontraproduktiv?

II. Begriff der Schmähkritik
3
Der Begriff der Schmähkritik wurde ursprünglich von der Fachgerichtsbarkeit entwickelt, was das BVerfG selbst immer wieder betont hat. Das BVerfG hat den Begriff dann jedoch übernommen.

4
Allgemein bekannt ist, dass es sich bei Schmähkritik um Äußerungen handelt, die andere Menschen in ihrer Ehre treffen. Die Schmähkritik spielt somit für die Frage der Strafbarkeit einer Aussage als Beleidigung nach § 185 StGB eine entscheidende Rolle, ebenso aber für zivilrechtliche Ansprüche wie etwa den auf Unterlassung aus § 1004 BGB (analog) oder Schadenersatz aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 185 StGB.

5
Es existiert eine Vielzahl an Entscheidungen des BVerfG zur Schmähkritik bzw. Schmähung. Neben diesem Begriff verwendet das BVerfG – dann in der Regel direkt im Zusammenhang benannt – die Termini der Formalbeleidigung und des Angriffs auf die Menschenwürde. In welchem Verhältnis diese zueinander stehen, ist nicht eindeutig. Auch die Rechtsprechung des BVerfG war und ist hierbei nicht frei von Widersprüchen. In den sog. Klarstellungsbeschlüssen v. 19.5.2020 hat das BVerfG versucht, etwas „Licht ins Dunkle“ zu bringen.

1. Definition
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Das BVerfG hat in seinen Entscheidungen den Begriff der Schmähkritik immer wieder definiert und hierbei teilweise unterschiedliche Akzente gesetzt. 9 In aller Regel wurde jedoch betont, dass die Diffamierung der betroffenen Person im Vordergrund stehen müsse und es nicht mehr um die Auseinandersetzung in der Sache gehe.

7
Bereits die Definition der Schmähkritik in den Klarstellungsbeschlüssen wurde erheblich kritisiert. Angemerkt wurde dabei, dass derartige Fälle ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.05.2022 16:57
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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