EGMR v. 5.5.2022 - 19362/18

Meinungsfreiheit - Kroatien: Verleumderische Aussagen des früheren kroatischen Staatspräsidenten

Äußerungen von hochrangigen Staatsbeamten haben mehr Gewicht, folglich verursachen ihre Äußerungen, die den guten Ruf anderer verletzen, einen größeren Schaden. (Mesić gegen Kroatien)

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer (Mesić) ist ein früherer Präsident Kroatiens. Ihm war im Zuge einer in Frankreich eingereichten Strafanzeige von J., einem dort tätigen Rechtsanwalt kroatischer Herkunft, vorgeworfen worden, ein Komplize bei der versuchten Ermordung und versuchten Erpressung des Mandanten von J. zu sein. Bei einem der insgesamt elf Beschuldigten handelte es sich um einen Mafiaboss, der nach Angaben des Mandanten von J. den Wahlkampf Mesić‘ im Jahr 2000 finanziert hatte. Die Strafanzeige und ihr behaupteter Bezug zu Mesić waren Gegenstand zweier Artikel auf den Websites kroatischer Tageszeitungen, ohne dass den Medien der genaue Inhalt der Strafanzeige bekannt gewesen war. In den Artikeln hieß es, dass die Journalisten J. kontaktiert hätten und er die Existenz der Strafanzeige bestätigt habe, aber nach französischem Recht keine Einzelheiten nennen dürfe. Von anderen Journalisten zu den Artikeln befragt, leugnete Mesić den Sachverhalt und riet J., bei seiner Ankunft in Kroatien ein psychiatrisches Krankenhaus aufzusuchen, wo Menschen wie er wirksam behandelt werden könnten. Diese Aussage wurde von mehreren kroatischen Medien aufgegriffen. Über diese Erklärung Mesić‘ wurde zudem auf der offiziellen Website des kroatischen Präsidenten berichtet. Daraufhin erhob J. vor kroatischen Gerichten eine Zivilklage gegen Mesić wegen Verleumdung. Er erhielt eine Entschädigung für den immateriellen Schaden sowie die Kosten des Verfahrens i.H.v. umgerechnet 6.660 € zugesprochen. Mesić legte gegen dieses Urteil erfolglos Berufung bis zum kroatischen Verfassungsgericht ein.

Die Gründe:
Der EGMR befand, dass das Urteil einen Eingriff in das Recht Mesić‘ auf freie Meinungsäußerung dargestellt habe. Es sei gesetzlich vorgesehen gewesen und habe das legitime Ziel verfolgt, den guten Ruf oder die Rechte anderer, hier des J., zu schützen. Die Äußerung Mesić‘, dass J. psychiatrischer Behandlung bedürfe, habe den Grad der Schwere erreicht, der geeignet sei, die Rechte des J. aus Art. 8 EMRK zu berühren, insbesondere weil Mesić sie in seiner Eigenschaft als Staatspräsident getätigt hatte und sie von verschiedenen Medien mit großer Reichweite verbreitet worden war. Vorliegend habe es sich zwar um eine Metapher und ein reines Werturteil gehandelt, so dass die Äußerung nicht beweisfähig gewesen sei. Unabhängig aber davon, ob die Äußerung wörtlich oder metaphorisch zu verstehen ist, sei sie nicht nur geeignet, den guten Ruf des J. zu schädigen, sondern auch Vorurteile gegen ihn in seinem beruflichen und gesellschaftlichen Umfeld zu schüren. Zudem sei der Verweis auf die Notwendigkeit einer psychiatrischen Behandlung und die Verwendung dieses Begriffs zum Zweck der Beleidigung Personen mit psychischen Problemen gegenüber respektlos.

Der EGMR betonte, dass J. weder eine Person des öffentlichen Lebens gewesen war noch sich in irgendeiner Weise öffentlich über Mesić geäußert hatte. Die angebliche Verwicklung eines Staatspräsidenten in einen Mordversuch und/oder seine möglichen Verbindungen zur organisierten Kriminalität seien zudem zweifellos eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse. Mesić habe das Recht gehabt, auf eine solche Anschuldigung zu antworten und sich zu verteidigen, was er auch getan habe. Er habe aber darüber hinaus versucht, J. durch eine beleidigende Äußerung mit herabsetzenden und unverschämten Begriffen als Vertrauensperson zu diskreditieren. Nichts deute darauf hin, dass Mesić die gegen ihn erhobenen Vorwürfe nicht hätte bestreiten können, ohne sich der beanstandeten Sprache zu bedienen. Indem er J. persönlich beleidigt hatte, habe Mesić keinen Beitrag zu einer Debatte über eine Angelegenheit von öffentlichem Interesse geleistet und die Grenzen der zulässigen Kritik überschritten.

Die Äußerung Mesić‘ sei darüber hinaus geeignet gewesen sei, eine „abschreckende“ Wirkung auf die Ausübung der beruflichen Pflichten des J. zu haben. Wenn wie vorliegend hochrangige Staatsbeamte den guten Ruf von Rechtsanwälten angreifen und sie zum Objekt des Spottes machen, um sie zu isolieren und ihre Glaubwürdigkeit zu beschädigen, sei dies oft ebenso wirksam wie eine Drohung, um Rechtsanwälte an der Ausübung ihrer beruflichen Pflichten zu hindern. Aufgrund der Geheimhaltungspflicht nach französischem Recht sei J. zudem daran gehindert gewesen, auf Mesić zu antworten. Die habe ihn gegenüber Mesić, einer einflussreichen Persönlichkeit des öffentlichen Lebens, der aufgrund seiner Rolle große Aufmerksamkeit in den Medien genossen hatte, in eine noch ungünstigere Lage versetzt.

Daher sei die Zuerkennung von Schadensersatz eine angemessene Sanktion gewesen, um diese Wirkung zu neutralisieren, und verhältnismäßig im Hinblick auf das Ziel, den guten Ruf des Anwalts zu schützen.

Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 10 EMRK, bejahte aber wegen der übermäßig langen Verfahrensdauer einstimmig eine Verletzung von Art. 6 Abs. 1 EMRK (Recht auf ein faires Verfahren).

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.06.2022 10:06
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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