BGH v. 21.6.2022 - VI ZR 395/19

Verletzungsunterlassungsanspruch: Besonderheiten bei eigener Interpretation einer zu unterlassenden Aussage

Begehrt der Kläger in einem äußerungsrechtlichen Rechtsstreit nicht die Unterlassung einer von ihm wörtlich wiedergegebenen Äußerung des Beklagten, sondern die Unterlassung einer Aussage, die er der Äußerung des Beklagten nach eigener Interpretation entnehmen zu können meint, so kommt ein auf eine Wiederholungsgefahr nach erfolgter Erstbegehung gestützter Unterlassungsanspruch (sog. "Verletzungsunterlassungsanspruch") nur in Betracht, wenn sich die vom Kläger bekämpfte Aussage aus der betreffenden Äußerung des Beklagten tatsächlich ergibt.

Der Sachverhalt:
Der Kläger nimmt den Beklagten - soweit im Revisionsverfahren noch von Relevanz - auf Unterlassung einer Äußerung und Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Anspruch.

Der Kläger ist Fachanwalt für Medizinrecht und für Handels- und Gesellschaftsrecht, der Beklagte Facharzt für Innere Medizin und Onkologie. Anfang des Jahres 2014 war der Beklagte Mehrheitsgesellschafter der M. GmbH und befand sich im Streit mit der damaligen Minderheitsgesellschafterin. Dabei wurde er außergerichtlich und gerichtlich vom Kläger, damals Partner der C. mbB Rechtsanwälte, vertreten. Die Auseinandersetzung endete im Januar 2014 mit einem gerichtlichen Vergleich, im Zuge dessen die Minderheitsgesellschafterin ihre Anteile gegen eine Zahlung i.H.v. 2,55 Mio. € an den Beklagten abtrat. Zur Finanzierung dieses Betrags nahm der Beklagte ein Darlehen bei der C.C.C. GmbH auf; Darlehensvertrag sowie eine in diesem Zusammenhang abgeschlossene notarielle Vereinbarung wurden von der C. mbB Rechtsanwälte entworfen. In der Folge überwarf sich der Beklagte mit dem Geschäftsführer der C.C.C. GmbH, Günter Z., was zu Auseinandersetzungen zwischen der mittlerweile mittelbar von Z. beherrschten M. GmbH und der C.C.C. GmbH einerseits und dem Beklagten andererseits führte. Hierbei vertrat der Kläger die Gesellschaften.

Das auf eine Anzeige der Rechtsvertreterin des Beklagten gegenüber der zuständigen Rechtsanwaltskammer, der Kläger vertrete widerstreitende Interessen, und nach im Hinblick auf einen möglichen Verstoß gegen das anwaltliche Berufsrecht erfolgter Weiterleitung der Anzeige an die Generalstaatsanwaltschaft Düsseldorf gegen den Kläger geführte anwaltsrechtliche Ermittlungsverfahren wurde im Januar 2017 gem. § 116 Abs. 1 Satz 2 BRAO i.V.m. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Im August 2017 kam der Beklagte in veränderter beruflicher Stellung in geschäftlichen Kontakt mit einer Mandantin des Klägers. Am 11.8.2017 hinterließ der Beklagte auf der Mailbox des Mobiltelefons von deren Geschäftsführer folgende Nachricht:

"Ja, F[Nachname des Beklagten], Guten Abend. [Unverständlich] etwas spät, aber das ja auch nicht schlimm. Ähm… Eine Nachricht. Ich hatte mich heute mit dem A[…]vorstand unterhalten wegen der Frage, wie das weitergehen soll mit der Planung auch mit uns hier und der Frage Cyberknife, weil wir uns ja eigentlich von der radiologischen Allianz emanzipieren wollten. Als ich dann heute die Nachricht hinterbrachte, dass Sie von der Anwaltskanzlei P.[Nachname des Klägers] vertreten werden, löste das blankes Entsetzen aus. Ähm ... d. h. also, da müssen wir uns nochmal drüber unterhalten. Also, wenn Sie ein Bein an die Erde bekommen wollen hier in Hamburg mit A[…] und unserem Netzwerk ist das im Prinzip ganz unmöglich. Ähm … es sei denn, es gibt irgendeinen Ausgleich … äh … mit dem unsäglichen Konflikt, den Herr P[Nachname des Klägers] nun … äh … mit den ganzen anhänglichen Sachen, wie Parteiverrat etc. pp. da hinter sich hat. Das ist völlig unmöglich. Also, Sie sind mit dem Anwalt P[Nachname des Klägers] hier praktisch no go. Das muss man sagen. Es sei denn, ähm … Sie schaffen es, den Konflikt, der ja auch zu A[…] besteht, den der Herr P[Nachname des Klägers] weiterhin protrahiert mit dem Herrn Z[…], nun zu entschärfen. Ich empfehle ansonsten, die Lektüre des Sterns vom November 2015, wo eine entsprechende Nachricht des Herrn P[Nachname des Klägers] dazu geführt hat, dass letztendlich auch die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen aufgenommen worden sind wegen einer Strohmannstruktur, was uns hier ganz besonders …ähm... A[…] und uns hier umtreibt und Sie geraten dort selber in ein ganz miserables Licht …ähm…, wenn es da nicht jetzt irgendwie ne Entschärfung gibt, weil das ist in Hamburg einfach ein Desaster gewesen. Ich weiß nicht, ob Sie das gar nicht mitgekriegt haben, aber [unverständlich] ich finde das lustig …äh…, also ich finde es ein lustiges Zusammentreffen ehrlich gestanden und ich würde mich mit Ihnen gerne mal darüber austauschen. Also, das ist ja eine ganz klare Angelegenheit, so wie der Konflikt mit Z[…], P[Nachname des Klägers] und [unverständlich] auch zwischen mir und der A[…] ist es schlechterdings so, dass dann Hamburg kein Markt für Sie ist, das ist leider so. Ähm … Wir hätten Sie aber gern an Bord, weil wir kennen den Herrn Sch[…] ja inzwischen ganz gut … ähm … ich hab ja weiterhin mit dem Herrn A[…] vom Tumorzentrum […] weitreichende Kompetenzen Sie da irgendwo einzubinden. Nur, wie gesagt, das ist völlig ausgeschlossen, wenn es hier weiterhin eine Konfliktsituation gibt … äh …, die der Anwalt P[Nachname des Klägers] voranbringt … äh … der offensichtlich der Ihrige ist. Ähm … ich kann ja nur hoffen, dass sie auch noch eine andere Anwaltschaft irgendwo haben … ähm …, denn das Interesse ist groß, wir wollen hier keinen Gesellschaftskonflikt haben mit Herrn K[…] und Herrn Sch[…], aber dass wir eine alternative Struktur haben wollen für den Cyberknife, die von der radiologischen Allianz verschieden ist, weil sie von [unverständlich] abhängig ist, … ähm …, das gilt ganz klar für A[…] und ich kann Ihnen den Weg ebnen zu den entsprechenden Verantwortlichen, zu Herrn A[…], … ähm …, das ist ja der Chefarzt in A[…] und Chef des Tumorzentrums, zu Herrn S[…], etc. pp. Nur, wie gesagt, wenn die das Wort P[Nachname des Klägers] hören, … ähm …, kriegen die alle Pickel. Also, nur unter uns, melden Sie sich gerne mal, ich finde das weiterhin lustig und ausgesprochen skurril, weil es passt echt gut … ähm … und es würde hier in Hamburg die Szene wirklich wahnsinnig revolutionieren, wenn Sie über Ihre Möglichkeiten dort Einfluss nehmen könnten, hier eine allgemeine Befriedung herzustellen und eben den Wettbewerb zwischen den entscheidenden Leuten …äh… voranzubringen und nicht …äh… weitere Bruderkriege zu unterhalten, an denen wir am meisten kranken hier und die werden ganz wesentlich unterhalten von Herrn P[Nachname des Klägers]. Ok, also, soviel dazu und …ähm… Sie können sich gerne noch bei mir melden, bei Herrn Sch[…] oder bei mir und …ähm… wie gesagt, ich bin ja vielleicht nochmal [unverständlich]. Also, um das deutlich zu machen Koordinator für die ambulante Onkologie von A[…] und wir haben großes Interesse …ähm… für eine radiologische Allianz verschiedene Einrichtungen …äh… zu bedienen, die auch Cyberknife heißen. Ja …ähm… soviel dazu und Sie können sich ja mal bei mir melden morgen im Laufe des Tages [unverständlich] Tschüss, Tschüss."

Unter Bezugnahme auf diese Nachricht begehrt der Kläger vom Beklagten, es zu unterlassen, wörtlich oder sinngemäß zu behaupten und/oder zu verbreiten bzw. behaupten und/oder verbreiten zu lassen, der Kläger habe Parteiverrat begangen, sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

Das LG wies die Klage ab; das OLG gab ihr statt. Auf die Revision des Beklagten hob der BGH das Berufungsurteil auf und wies die Berufung des Klägers gegen das klageabweisende Urteil des LG zurück.

Die Gründe:
Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch aus § 823 Abs. 1, § 1004 (analog) BGB oder § 823 Abs. 2 BGB i.v.m. §§ 185 ff. StGB darauf, es zu unterlassen, die Behauptung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, aufzustellen oder zu verbreiten bzw. aufstellen oder verbreiten zu lassen.

Für den vom Kläger geltend gemachten, auf eine Wiederholungsgefahr nach erfolgter Erstbegehung gestützten Unterlassungsanspruch (sog. Verletzungsunterlassungsanspruch) fehlt es bereits an der insoweit erforderlichen Erstbegehung. Der Beklagte hat die Behauptung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, in der Mailbox-Nachricht vom 11.8.2017 bei zutreffender Sinndeutung der Nachricht nicht aufgestellt. Anders als in vielen anderen äußerungsrechtlichen Fällen begehrt der Kläger hier nicht die Unterlassung einer von ihm wörtlich wiedergegebenen Äußerung des Beklagten. Es geht dem Kläger vielmehr darum, dem Beklagten mit dessen angeblicher Behauptung, der Kläger habe Parteiverrat begangen, eine Aussage zu verbieten, die er der Äußerung des Beklagten nach eigener Interpretation entnehmen zu können meint. Ein Verletzungsunterlassungsanspruch setzt in einem solchen Fall voraus, dass sich die vom Kläger bekämpfte Aussage den betreffenden Äußerungen des Beklagten tatsächlich entnehmen lässt. Vorliegend kann nicht davon ausgegangen werden, der Mailbox-Nachricht des Beklagten lasse sich die Behauptung entnehmen, der Kläger habe Parteiverrat begangen.

Entgegen der von der Revisionserwiderung vertretenen Rechtsauffassung sieht sich der erkennende Senat nicht deshalb an einer Entscheidung in der Sache gehindert, weil es an einem vorinstanzlichen Hinweis gem. § 139 ZPO fehlte, wonach der gestellte Klageantrag unbegründet sei, weil der Mailbox-Nachricht die Aussage, der Kläger habe Parteiverrat begangen, nicht zu entnehmen sei, stattdessen aber ein auf eine andere Äußerung gerichteter Unterlassungsantrag möglicherweise Erfolg habe. Mit einer entsprechenden Umstellung seines Klageantrags änderte der Kläger sein Prozessziel; auf die Änderung des Prozessziels einer Partei abzielende Hinweise fordert § 139 ZPO aber nicht. Schließlich waren die Frage, ob sich die vom Kläger bekämpfte Aussage aus der Mailbox-Nachricht ergibt, und die sich aus der Antwort ergebenden rechtlichen Folgerungen schon ausweislich des landgerichtlichen Urteils Gegenstand der Erörterungen in den Vorinstanzen.

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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.07.2022 11:01
Quelle: BGH online

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