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E-Lending - interessengerechte Lösungen zum Ausgleich zwischen Bibliotheken und Buchbranche (Peter, AfP 2022, 391)

Der vorliegende Beitrag befasst sich mit dem Konflikt von Autoren, herstellendem und verbreitendem Buchhandel mit öffentlichen Bibliotheken um die Bedingungen des digitalen Verleihens von E-Books. Während Bibliotheken ihren öffentlichen Auftrag erfüllen wollen, sind Autoren und Buchhandel bestrebt, ihre wirtschaftliche Geschäftsgrundlage zu schützen. Absehbar ist, dass eine Konfliktlösung ohne ein gesetzgeberisches Tätigwerden kaum gelingen wird. Vorgestellt werden daher die momentan diskutierten Lösungsvorschläge, unter denen der Aufsatz den der Einführung einer urheberrechtlichen Schrankenregelung präferiert.

I. Konflikt
II. Diskutierte Lösungswege

1. Kollektive Verhandlungen
2. Zwangslizenz
3. Schrankenregelung
a) Regelung im UrhG
b) Regelung über § 16a DNBG
III. Handlungsbedarf


I. Konflikt

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Die digitale Leihe von insb. E-Books aus öffentlichen Bibliotheken wird seit Jahren kontrovers diskutiert. „E-Lending“ ist dabei das Schlagwort, das auf einen schwierigen, weil emotional aufgeladenen Streit hinweist, der einer Lösung zuzuführen ist.

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Bibliotheken wollen ihrem öffentlichen Auftrag der Wissens- und Informationsvermittlung sowie ihrem eigenen Anspruch an den Dienst an der Gesellschaft, den sie leisten, gerecht werden. Sie wollen E-Books in ihren Bestand aufnehmen, um sie Bibliotheksnutzern zugänglich zu machen. Es geht ihnen im Sinne ihres öffentlichen Auftrags um Partizipation, gleichberechtigten Zugang zu Inhalten und Vielfalt zugunsten der Bürger und Bibliotheksnutzer. Sie wollen dabei darin frei und unabhängig sein, welche Titel sie zu welchem Zeitpunkt aufnehmen und auf welche Weise sie die Titel zugänglich machen. Schon heute, so die Bibliotheken, ist eine steigende Anzahl an Ausleihwünschen zu verzeichnen, die mangels Lizenzerteilung nicht erfüllt werden können. Da vermehrt Titel nur noch als E-Book erscheinen, ist ihre Sorge um die Vielfalt des Bibliotheksangebots groß.

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Dem entgegen steht die bisherige Praxis von Autoren und Verlagen. Zum Teil verweigern Autoren Lizenzen für Bibliotheken, zum Teil verhindern Verlage durch eine Bibliotheks-Sperre, AFP 2022, 392das sog. Windowing, dass Bibliotheken aktuelle Titel wie Bestseller zeitgleich mit dem Erscheinen auf dem Markt zur Verfügung stehen. Im Beispielsfall des Piper Verlags sind derzeit 70 Titel vom Windowing erfasst, bei weiteren 1.275 Titeln verweigern die Autoren eine Lizenzierung an Bibliotheken. Etwa ein Drittel der Titel des Piper Verlags stehen Bibliotheken damit nicht zur Verfügung. Autoren, Verlagen und verbreitendem Buchhandel geht es dabei insb. um Geld. Sie fürchten ein „Outselling“ ihrer jeweiligen Wertschöpfung, eine Kannibalisierung ihrer Produkte zu Lasten ihrer Existenz- bzw. Geschäftsgrundlage. Von Autoren ist zu hören, dass schon jetzt die Bibliothekstantieme unangemessen gering ist und der Verleih von E-Books für Autoren dazu führt, dass sich die Einnahmen aus dem Verkaufsgeschäft spürbar verringern. Verleger pflichten ihnen bei. Windowing müsse den Verlagen gestattet sein, um die verlegerische Mischkalkulation nicht zu gefährden – ein Argument, das Verleger auch im Zusammenhang mit der Rechtfertigung der Buchpreisbindung immer wieder anführen. Aus ihrer Sicht ist der Verleih von E-Books durch Bibliotheken aus mehreren Gründen problematisch: Erstens ist der Abruf der E-Book-Datei zu jeder Zeit von jedem Ort aus möglich. Anfahrten, Öffnungszeiten, Rückgabefristen etc. spielen keine Rolle. Zweitens sind E-Books immer „neu“, da sie sich anders als gedruckte Bücher nicht abnutzen. Für Bibliotheksnutzer ergibt sich kein Qualitätsunterschied im Vergleich zum Kauf eines E-Books. Drittens sind E-Book-Titel länger im Handel präsent als die entsprechenden Print-Titel. Viertens sind digitale Bücher dem Risiko von Internetpiraterie ausgesetzt. All diese Aspekte müssen, so die Forderung der Verlage, bei der Vergütungsbemessung berücksichtigt werden.

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Zurzeit zahlen Bibliotheken in der Regel den 1,5-fachen Einkaufspreis eines gedruckten Buchs für eine 48-monatige Lizenz für den entsprechenden E-Book-Titel. Außen vor bleibt dabei der verbreitende Buchhandel, der nicht von dem Lizenzerwerb der Bibliotheken profitiert, aber durch eine Kannibalisierung (sofern es sie gibt) beeinträchtigt wird. Bibliotheken erwerben ihre Lizenzen nicht unmittelbar bei den Autoren oder Verlagen, auch nicht über den Buchhandel, sondern bei Intermediären, auch Distributoren genannt, die zwischen Verlagen und Bibliotheken stehen. Diese Intermediäre kaufen Lizenzen bei Autoren bzw. Verlagen zu dem genannten Preis und lizenzieren gegen eine Provision i.H.v. 30 % weiter. Solche Intermediäre sind z.B. die private divibib GmbH, die über einen Marktanteil von über 80 % verfügt, und die OverDrive Inc.

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Über die genannten Aspekte hinaus bezweifeln Verlage und Autoren, dass das digitale Verleihen von E-Books durch öffentliche Bibliotheken tatsächlich zur Erfüllung ihres öffentlichen Auftrags geboten ist, da nach Auffassung der Verlage und Autoren vor allem belletristische Bestseller streitgegenständlich sind, die nichts mit Informations- und Wissensvermittlung zu tun haben. Zudem treffe das von Bibliotheken vorgebrachte Partizipationsargument nur bedingt zu, da die digitale Leihe („Onleihe“) im Wesentlichen von Personen genutzt werde, die über ein monatliches Einkommen ab 3.000 € verfügten.

II. Diskutierte Lösungswege
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Zur Lösung des Konflikts werden verschiedene Ansätze diskutiert, die aber alle ein Tätigwerden des Gesetzgebers und vorgängig seinen rechtspolitischen Regelungswillen voraussetzen.

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Überholt sein dürfte nämlich die wenig überzeugende Auffassung, dass sich der Erschöpfungsgrundsatz aus § 17 Abs. 2 UrhG auch auf E-Books erstreckt und eine darauf gestützte Weiterverbreitung die Vergütungspflicht aus § 27 Abs. 2 UrhG auslöst. Denn § 19a UrhG, d.h. das Verwertungsrecht der drahtgebundenen oder drahtlosen öffentlichen Zugänglichmachung, ist genau für einen solchen Fall, bei dem es...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.11.2022 09:33
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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