Aktuell in der AfP

Ansprüche kommunaler Vertreter gegenüber Hatespeech (Gulden/Schlieker, AfP 2022, 208)

Anfeindungen gegenüber Behörden und ihren Mitarbeitern nehmen vor allem im Netz weiter rasant zu. Zivilrechtlich können sich staatliche Institutionen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze zwar kaum wehren, die in der Verwaltung arbeitenden Menschen hingegen in vielfältiger Weise. Der Digital Services Act könnte die Rechtsdurchsetzung erleichtern.

I. Ausgangssituation
II. Rechtliche Anknüpfungspunkte im Äußerungsrecht

1. Anspruch auf Unterlassung und Löschung
2. Anspruch auf Geldentschädigung
3. Anspruch auf Schadensersatz
4. Ansprüche gegen die Medien
III. Rechtsrahmen für Gemeinden
1. Grundrechtsschutz
2. Abwehransprüche
a) Kein Anspruch gegen öffentliche Kritik
b) Unterlassungsansprüche
IV. Ansprüche einzelner Verwaltungsmitarbeiter
1. Rechtsschutzmöglichkeiten
2. Schutz durch die Gemeinde als Arbeitgeber
3. Fortentwicklung des strafrechtlichen Schutzes kommunaler Vertreter
V. Rolle sozialer Netzwerke
VI. Aktuelle Entwicklung und Ausblick

1. Strafverfolgung
2. Digital Services Act


I. Ausgangssituation
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Erst kam ein Brief mit Kot, dann wurden die Autoreifen zerstochen. Schließlich trat die stellvertretende Bürgermeisterin der Gemeinde Heringsdorf in Mecklenburg-Vorpommern angesichts dieser Vorfälle zurück. Es handelt sich nicht um einen Einzelfall. Laut Deutschem Städte- und Gemeindebund (DStGB) hat sich die Zahl der Straftaten gegen Amts- und Mandatsträger ausgehend vom Jahr 2017 bis 2021 mit 4458 verdreifacht. Hinzu kämen Belästigungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze. Zwei Drittel aller Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland hätten laut Umfragen bereits Erfahrungen mit Beschimpfungen, Bedrohungen oder tätlichen Übergriffen gemacht, teils mehrfach. Aufgrund der Corona-Pandemie spitzt sich die Lage weiter zu, gaben laut DStGB 37 % der Befragten in Umfragen an. Der Hass komme dabei von rechts- und linksorientierten Extremisten, Reichsbürgern und Verschwörungstheoretikern, aber auch aus der Mitte der Gesellschaft. Ähnlich alarmierende Zahlen liefert das BMI: Im Vergleich mit 2019 verzeichnete dieses im Jahr 2020 im Bereich Straftaten gegen Kommunen einen Zuwachs von über 180 %. Diese Entwicklung betreffe grundsätzlich alle Bundesländer.

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An kommunalen Amtsträgern hinterlässt dies Spuren. So bilanziert die Körber-Stiftung mit Blick auf eine von ihr in Auftrag gegebene forsa-Umfrage: Die Mehrheit der Befragten (68 %) hat aus Sorge vor Beleidigungen oder Angriffen sogar ihr Verhalten geändert. Mehr als ein Drittel (37 %) verzichtet weitgehend auf die Nutzung sozialer Medien. Ein Fünftel der Bürgermeisterinnen und Bürgermeister (19 %) hat aus Sorge um die eigene Sicherheit oder die der Familie schon über einen Rückzug aus der Politik nachgedacht, ein Drittel (30 %) äußert sich zu bestimmten politischen Themen seltener als früher“.

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Zudem ergeben sich Auswirkungen auf die Demokratie. So sieht der Gesetzgeber durch die fortwährenden Einschüchterungen politisch engagierter Personen den politischen Diskurs als solchen angegriffen und in Frage gestellt und den freien Meinungsaustausch im Internet und letztendlich die Meinungsfreiheit gefährdet. Speziell der Meinungsaustausch im Internet ist betroffen, weil sich insb. in den sozialen Medien der Hass entlädt.

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Viele Kommunen sind mit der Situation überfordert. Sie wissen nicht, ob und welche rechtlichen Mittel ihnen zur Verfügung stehen; rechtliche Schritte werden oft nur zögerlich oder gar nicht eingeleitet. Zwar können Gerichte allein diese Angriffe nicht beseitigen. Straf- und Zivilurteile können ein gesamtgesellschaftliches Problem nicht lösen. Dennoch sind weder die Kommune als juristische Person des öffentlichen Rechts noch die einzelnen Mitarbeiter rechtlich schutzlos gestellt. Dies zeigt der Vergleich mit dem zivilrechtlichen Ehrschutz von Privatpersonen.

II. Rechtliche Anknüpfungspunkte im Äußerungsrecht
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Verletzt jemand eine Privatperson durch eine Äußerung, z.B. mittels eines besonders abfälligen Facebook-Kommentars, in ihrem allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, stehen dem Betroffenen zivilrechtlich verschiedene Wege offen.

1. Anspruch auf Unterlassung und Löschung
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Zentral ist hier der quasinegatorische Anspruch auf Unterlassung der erneuten Äußerung bzw. auf Löschung einer weiterhin abrufbaren Äußerung, §§ 823, 1004 Abs. 1 Satz 2 BGB analog i.V.m. Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG. Dieser Anspruch zielt darauf, vor Äußerungen zu schützen, die geeignet sind, sich abträglich auf das Ansehen der Person, insb. ihr Bild in der Öffentlichkeit, auszuwirken. Inhalt des nicht abschließend geregelten allgemeinen Persönlichkeitsrechts sind auch die soziale Anerkennung und die persönliche Ehre sowie die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst darüber zu entscheiden, ob, wann...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.07.2022 12:42
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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