Aktuell in der AfP

Digital Services Act - Eingehende Analyse und Überprüfung der regulatorischen Neuerungen aus dem Trilog und potentieller Lücken (Rössel, AfP 2023, 93)

Angesichts des grundsätzliche Anwendungsbeginns des Digital Services Act Anfang 2024 darf nicht übersehen werden, dass seine Anwendung mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung der Nutzerzahlen durch Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen bereits die erste schwierige Etappe erreicht hat. Sehr große Anbieter haben sich bereits nach viermonatigen Übergangsfrist der aufwendigen Regulierung zu stellen und sind diesbzgl. zu Vorbereitungen gesetzlich verpflichtet. Hiervon unabhängig strahlen bereits jetzt Auslegungsgesichtspunkte der Neuregelung auf das geltende Recht aus.

I. Ausgangssituation
II. Überblick
III. Verantwortlichkeit der Vermittler

1. Vermittlereigenschaft
2. Privilegierungsausschluss
3. Haftungsprivilegierungen
4. Überwachung
IV. Beseitigungs- und Auskunftsanordnungen
V. Sorgfaltspflichten

1. Basispflichten aller Vermittler
2. Zusätzliche Pflichten für Hoster
3. Pflichtenerweiterung für Online-Plattformen
4. Sonderpflichten für B2C-Marktplätze
VI. Regulierung der Tech-Riesen
1. Veröffentlichung der Nutzerzahlen
2. Ermittlung der Nutzer
3. Risikomanagement und Krisenreaktion
4. Weitere Sorgfaltspflichten
VII. Fazit


I. Ausgangssituation

1
Der Digital Services Act (DSA) hat im Februar mit der Verpflichtung zur Veröffentlichung der Nutzerzahlen durch Online-Plattformen und Online-Suchmaschinen sein erstes Etappenziel erreicht. In Anbetracht der viermonatigen Übergangsfrist könnte die nächste signifikante Stufe in Form der vollständigen Anwendung des DSA auf sehr reichweitengroße Tech-Riesen i.S.v. Art. 33 DSA theoretisch bereits im Juni folgen. De facto ist damit aufgrund des bürokratischen Aufwands für die Kommission bis zur wirksamen Klassifizierung erst im Herbst zu rechnen. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass bereits am Tag des Anwendungsbeginns die erstmalige Risikobewertung abgeschlossen sein muss. Für alle anderen Vermittler gilt der DSA vollständig dann erst Mitte Februar 2024, wenn auch die nationalen Aufsichtsbehörden ihre Tätigkeit aufnehmen müssen. Ungeachtet dessen könnten Auslegungshilfen, z.B. zu Herkunftslandprinzip oder Haftungssubsidiarität, bereits jetzt Wirkung entfalten.

2
Im Anschluss an die Analyse des Vorschlags der Kommission von vor zwei Jahren gilt es nun, die während des Gesetzgebungsverfahrens i.R.d. Trilogs mit Parlament und Rat vorgenommenen Änderungen in einer flächendeckenden Untersuchung näher zu betrachten.

II. Überblick
3
Der DSA gilt für alle Vermittlungsdienste, die eine „wesentliche Verbindung zur Union“ aufweisen, unabhängig vom Sitz des Vermittlers. Die Querschnittsmaterie der Verantwortlichkeit der Vermittler gem. Artt. 12–15 ECRL wurde aus dieser Richtlinie unter Beibehaltung ihrer übrigen Regelungen, wie z.B. zum Herkunftslandprinzip, extrahiert und unter Wahrung der bisherigen gerichtlichen Auslegung weitgehend unverändert in Kap. II DSA übertragen. Von diesen Haftungsprivilegierungen bleiben weiterhin Beseitigungs- und Unterlassungsanordnungen unberührt. Allerdings wurden Mindestanforderungen an Beseitigungs- und Auskunftsanordnungen eingeführt.

4
Weitgehend unabhängig von den Vorschriften über die Verantwortlichkeit der Vermittler werden ferner neue Sorgfaltspflichten, gegliedert in fünf Abschnitten des Kap. III, für jeweils auseinander hervorgehende Gruppen von Diensten festgelegt. Die Basisgruppe bilden dabei die Vermittler entsprechend der Trias der ECRL, bestehend aus „reine Durchleitung“, „Caching“ und „Hosting“. Darauf folgen strengere Sonderanforderungen für Hoster. Die dritte Gruppe bilden als veröffentlichende Hoster die Online-Plattformen i.S.v. Art. 3 lit. i DSA. Der vierte Abschnitt betrifft Online-Plattformen, die einen B2C-Marktplatz anbieten. Schließlich gelten die schärfsten Anforderungen für Tech-Riesen mit außerordentlicher Reichweite, unter die zusätzlich zu sehr großen Online-Plattformen (VLOP) nun auch sehr große Online-Suchmaschinen (VLOSE) fallen.

5
Die eigentlichen Haftungsgrundlagen ergeben sich weiterhin aus dem sektorspezifischen Unionsrecht oder dem Recht der Mitgliedstaaten, das nur für bestimmte Inhalte oder bestimmte digitale Dienste gilt. Der DSA lässt spezialgesetzliche Unionsregelungen zu Vermittlungsdiensten unberührt. I.Ü. ist das Recht der Vermittlungsdienste zum Schutz vor Verbreitung rechtswidriger Inhalte durch den DSA vollständig harmonisiert und lässt keinen Raum für NetzDG, Loi Avia oder KoPl-G. Nur wenn nationales Recht anderen Zielen als denen des DSA dient, wäre vorbehaltlich der Ausnahme vom Herkunftslandprinzip (Art. 3 Abs. 4 und 5 ECRL) eine Anwendung gegenüber Diensten aus anderen Mitgliedstaaten in Betracht zu ziehen.

III. Verantwortlichkeit der Vermittler

1. Vermittlereigenschaft

6
Während des Trilogs wurden einige typische Dienstleistungsgruppen den drei aus der ECRL bekannten Kategorien zugeordnet. Unter „reine Durchleitung“ fallen nun ausdrücklich Hotspots, VPN, DNS-Dienste, Registries, Zertifizierungsstellen, VoIP und Web-E-Mail. „Caching“ umfasst CDN und Proxys. Zum „Hosting“ gehören Cloud-Computing, Webhosting, Werbeserver und Referenzierungsdienste wie Ads, Sharehosting und Pastebins.

7
Während Online-Suchmaschinen im Kommissionsvorschlag noch gänzlich unerwähnt blieben, wurden sie im Zuge der Trilog-Verhandlungen aufgrund ihrer besonderen Bedeutung für die Meinungsäußerungs- und Informationsfreiheit den VLOP i.S.v. Art. 33 DSA gleichgestellt, sofern sie über eine...


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Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.04.2023 14:12
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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