EGMR v. 18.7.2023 - 44033/17

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Nordmazedonien: Veröffentlichung von in Haft aufgenommenen Fotos von Prostituierten auf der Website des Innenministeriums

Nur die Veröffentlichung von Fotos der Beschwerdeführerinnen auf der Webseite des Innenministeriums verstößt gegen die Konvention, nicht jedoch der Abdruck von Fotos in den Medien. (D.H. gegen Nordmazedonien)

Der Sachverhalt:
Die Beschwerdeführerinnen arbeiten als Prostituierte in Nordmazedonien. Sie waren als Teil einer größeren Gruppe von Sexarbeiterinnen verhaftet worden. In Haft wurden Foto- und Videoaufnahmen von ihnen angefertigt, die daraufhin in nicht-anonymisierter Form auf der Website des Innenministeriums veröffentlicht wurden. Anschließend wurden die Beschwerdeführerinnen in eine Klinik verlegt, um im Rahmen einer Blutentnahme eine Untersuchung auf sexuell übertragbare Krankheiten vornehmen zu lassen. Während der Verlegung wurden sie von Journalisten fotografiert und die Bilder in einzelnen Medien veröffentlicht. Wegen der Haft- und Verlegungsbedingungen rügten die Beschwerdeführerinnen nicht nur eine Verletzung von Art. 8 EMRK, sondern daneben auch von Art. 3 (Verbot unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung) und Art. 6 Abs. 1 (Recht auf ein faires Verfahren) EMRK.

Die Gründe:
Mit Blick auf Art. 8 EMRK stellte der EGMR in Bezug auf die Veröffentlichung des Fotomaterials in den Medien keine Verletzung fest. Die Beschwerdeführerinnen seien von Journalisten während ihrer Verlegung in die Klinik in deren Eingangsbereich fotografiert und die Fotos später von einzelnen Medien zusammen mit Artikeln über den Vorfall veröffentlicht worden. Zwar falle die Veröffentlichung der Fotos der Beschwerdeführerinnen durch die Medien in den Bereich des Privatlebens der Beschwerdeführerinnen. Es sei im vorliegenden Fall jedoch nicht eindeutig nachgewiesen worden, dass die Polizeibehörden unmittelbar für die Aufnahme und die anschließende Veröffentlichung der Fotos verantwortlich waren. Auch gebe es im vorliegenden Fall keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Fotos der Beschwerdeführer von den staatlichen Behörden aufgenommen und von diesen an die Presse verteilt wurden. Die Fotos seien nicht innerhalb des Polizeipräsidiums, sondern in einem öffentlichen Bereich, zu dem die Presse uneingeschränkten Zugang hatte, aufgenommen worden. Zudem habe die Polizei versucht, die auf dem Klinikgelände versammelten Reporter zu vertreiben. Die Beschwerdeführerinnen hätten auch keinen Anscheinsbeweis dafür vorgelegt, dass die Polizeibeamten die Medien über die Verlegung informiert hatten. Somit deute nichts darauf hin, dass den Polizeibehörden irgendeine Verantwortung für die Aufnahme und die Veröffentlichung der Fotos der Beschwerdeführerinnen durch die Medien zugewiesen werden kann.

Anders sei der Sachverhalt mit Blick auf die Veröffentlichung der in Haft aufgenommenen Fotos der Beschwerdeführerinnen in nicht-anonymisierter Form auf der Webseite des Innenministeriums gelagert. Diesbezüglich habe noch die erste Instanz des innerstaatlichen Rechtswegs festgestellt, dass die Polizeibehörden damit die Beschwerdeführerinnen in ihren Rechten aus Art. 8 EMRK verletzten. Das Berufungsgericht sei darauf jedoch nicht eingegangen, sondern habe mit einer eher allgemein gehaltenen Formulierung und ohne Begründung festgehalten, dass keine Rechte der Beschwerdeführerinnen verletzt worden seien. Die nationalen Gerichte seien somit ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen, das Recht der Beschwerdeführerinnen auf Achtung ihres Privatlebens gegen die Verletzung dieses Rechts durch die Veröffentlichung ihrer Fotos auf der Website des Ministeriums zu schützen.

Der EGMR bejahte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK durch die Veröffentlichung der Fotos der Beschwerdeführerinnen durch das Innenministerium und verneinte eine Verletzung von Art. 8 EMRK durch die Veröffentlichung der Fotos in bestimmten Medien. Mit Blick auf einzelne Beschwerdepunkte bejahte der EGMR daneben eine Verletzung von Art. 3 EMRK.
 

 

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 21.08.2023 09:17
Quelle: Sebastian Zeitzmann, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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