Aktuell in der AfP

Redaktions- und Geschäftsgeheimnisse von Medien (Beater, AfP 2023, 489)

Der Ausdruck „Redaktionsgeheimnis“ wird in deutschen Gesetzen nicht verwendet, wenn man von einem für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag (§ 15 Tarifvertrag über das Redaktionsvolontariat an Zeitschriften v. 22.9.1990, BAnz Nr. 221 v. 29.11.1991) einmal absieht. Es handelt sich nicht um einen definierten Rechtsbegriff, sondern um eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche Konstellationen. Rechtsprechung und Schrifttum (z.B. Mersch, MMR-Aktuell 2011, 314346; Tillmanns, ZRP 2007, 3) gebrauchen den Terminus hauptsächlich, wenn es um Zeugnisverweigerungsrechte der Medien und ihren Schutz vor Beschlagnahmen geht. Die Thematik beschränkt sich aber nicht auf die gesetzlich geregelten strafverfahrens- und prozessrechtlichen Fälle. Sie betrifft weitere juristische Zusammenhänge, die zumeist nicht näher geregelt sind und daher nach einem sorgfältigen Blick auf die maßgeblichen juristischen Wertungen verlangen. Zugleich wirft sie die Frage danach auf, in welchem Verhältnis Redaktionsgeheimnisse und die im GeschGehG geregelten Geschäftsgeheimnisse zueinander stehen.

I. Presse- und Rundfunkfreiheit
II. Anwendungsfälle und inhaltliche Kriterien

1. Schutz der Recherchetätigkeit
2. Schutz von Quellen
3. Schutz eigener Materialien und Wahrnehmungen
4. Schutz eigener Autoren und Mitarbeiter
5. Schutz von sonstigen Arbeitsabläufen
III. Redaktions- und Geschäftsgeheimnisse
1. Grundteleologie des Geschäftsgeheimnisschutzes
2. Grundteleologie des Redaktionsgeheimnisschutzes
3. Abgrenzungen und Fazit


I. Presse- und Rundfunkfreiheit
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Das BVerfG stellt für die rechtliche Einordnung von Redaktionsgeheimnissen auf die Presse- und Rundfunkfreiheit ab, die den Medien eine rechtlich „in gewisser Hinsicht bevorzugte Stellung“ verschafft. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG dient zur „Gewährleistung freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung, dies in einem umfassenden, nicht auf bloße Berichterstattung oder die Vermittlung politischer Meinung beschränkten, sondern jede Vermittlung von Information und Meinung umfassenden Sinne“. Die Erfüllung dieser „öffentlichen Aufgabe“ liegt in den Händen der Medien. Sie werden zur „Wahrung der Interessen der Öffentlichkeit“ tätig, insb. indem die Presse in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt oder Kritik übt und der öffentlich-rechtliche Rundfunk als Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung wirkt. Kurz: Massenmedien sind das Instrument zur Herstellung von öffentlicher Information, öffentlicher Kontrolle und öffentlichem Dialog.

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Das Grundgesetz schützt die Freiheit von Presse und Rundfunk insb. im Hinblick auf ihre „massenkommunikative Vermittlungsfunktion“. Der Grundrechtsschutz bezieht sich auf die Voraussetzungen, die gegeben sein müssen, damit die Medien diese Aufgabe im Kommunikationsprozess erfüllen können. Presse- und Rundfunkfreiheit schützen daher den gesamten Bereich publizistischer Tätigkeit vom Beschaffen von Informationen bis zum Verbreiten von Nachrichten und Meinungen. Die Medien sind, um diese Aufgaben wahrnehmen zu können, auf den Schutz von bestimmten Arbeitsmöglichkeiten angewiesen. Das Recht muss deshalb Arbeitsabläufe, die für die Funktionsfähigkeit von Medien wichtig sind, vor unzulässigen Störungen sichern. Dabei geht es meist um den Schutz von Geheimnissen, manchmal auch um darüber hinausreichende journalistische Schutzzonen.

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Die Frage, welche journalistischen Arbeitsprozesse in dieser Weise schutzbedürftig sind und gegen welche Beeinträchtigungen sie gesichert werden müssen, lässt sich nicht in scharf umrissener Form beantworten. Es geht nämlich um unterschiedliche mediale Funktionalitäten sowie um unterschiedliche rechtliche Gegeninteressen, etwa um die Verfolgung von Straftaten oder das Öffentlichmachen von Missständen in Medienunternehmen. Es sind daher in der Regel Abwägungen erforderlich, wie sie im Äußerungsrecht in vergleichbarer Form seit langem etabliert sind. Die Gerichte müssen dazu unter Rückgriff auf die Wertungen der Presse- und Rundfunkfreiheit die medialen Schutzbedürfnisse ermitteln und sie mit den entgegenstehenden Interessen abwägen.

II. Anwendungsfälle und inhaltliche Kriterien

1. Schutz der Recherchetätigkeit

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Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG erfasst den gesamten Bereich publizistischer Tätigkeit und mithin auch das Beschaffen von Informationen. Medien müssen Schutz davor genießen, bei der Ermittlung von Informationen behindert zu werden. Sie müssen frei entscheiden können, ob, in welcher Weise, in welcher Angelegenheit oder in Bezug auf welche Person sie recherchieren. Der Rechercheschutz berechtigt Journalisten nicht dazu, Straftaten zu begehen oder Rechte zu verletzen. Er ist ansonsten aber weit zu fassen, denn eine Recherche, die sich korrekter Mittel bedient, kann als solche grundsätzlich kein Unrecht tun. Sie hat allein das Ermitteln und Zusammentragen von Informationen zum Gegenstand und soll den Medien überhaupt erst eine Grundlage für die spätere Entscheidung verschaffen, ob die erlangten Informationen hinreichend belegt sind und eine Veröffentlichung tragen. Die Recherche lässt daher für sich genommen keinen ausreichenden Schluss darauf zu, dass aus ihr ein rechtswidriger Beitrag hervorgehen und veröffentlicht werden wird. Es gibt grundsätzlich keine Berechtigung zu verhindern, dass Medien einen Sachverhalt ermitteln und nach der Wahrheit suchen. Die bloße Ermittlungstätigkeit von Journalisten kann deshalb grundsätzlich nicht mit einem vorbeugenden Unterlassungsanspruch verboten werden. Medien müssen Sachverhalte prüfen und nach der Wahrheit suchen dürfen.

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Die Recherchetätigkeit verlangt auch nach Geheimnisschutz. Wenn ein Journalist das Grundbuch einsehen will, dann muss das Grundbuchamt prüfen, ob er ein berechtigtes Interesse an der Einsicht hat. Die Behörde muss dieses Verfahren geheimhalten, darf also den Eingetragenen nicht unterrichten. Die Presse ist bei ihren Ermittlungen häufig darauf angewiesen, mosaiksteinartig einzelne Teilinformationen in verschiedenen Feldern zusammenzutragen. Sie braucht dafür Zeit. Geht ein Journalist einem Verdacht nach und würde der Adressat des Verdachts darüber informiert, dann könnte der Rechercheerfolg nachhaltig gefährdet werden, etwa indem der Betroffene Gegenmaßnahmen ergreifen und z.B. Beweismittel vernichten würde. Die persönlichen Schutzinteressen des Betroffenen sind demgegenüber gering. Es geht um zutreffende Tatsachenangaben, die allenfalls die Privatsphäre betreffen und lediglich einer darlegungspflichtigen Einzelperson zugänglich gemacht werden.

2. Schutz von Quellen
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Der Schutz von „Quellen“ bzw. des Vertrauensverhältnisses zwischen Presse und Informanten ist in den Augen des BVerfG „unentbehrlich, da die Presse auf private Mitteilungen nicht verzichten kann, diese Informationsquelle aber nur dann ergiebig fließt, wenn sich der Informant grundsätzlich auf die Wahrung des Redaktionsgeheimnisses verlassen darf“. Menschen tragen den Medien Neuigkeiten oder Interna vielfach nur dann zu, wenn sie...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.12.2023 15:33
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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