EGMR v. 30.11.2023 - 60131/21

Meinungsfreiheit - Frankreich: Aufforderung zu gewährleisten, dass Rundfunkprogramme keine Aufstachelung zu Hass oder Gewalt enthalten

Aufrufe zu Gewalt, Hass oder Intoleranz sind Grenzen, die bei der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung unter keinen Umständen überschritten werden dürfen. (Société d'exploitation d'un service d'information CNews gegen Frankreich)

Der Sachverhalt:
Das beschwerdeführende Unternehmen ist ein Fernsehdienstleister mit Sitz in Frankreich und besitzt eine 2005 von der französischen Rundfunkbehörde (Conseil supérieur de l'audiovisuel, CSA) erteilte Lizenz für den Betrieb eines überregionalen Fernsehsenders, nämlich CNews. Dieser strahlt seit Oktober 2019 werktags zwischen 19 und 20 Uhr eine Sendung mit dem Titel Face à l'info aus, in der Éric Zemmour – ein bekannter Journalist und Kommentator, der mehrere Bücher mit politischen Analysen veröffentlicht hat und im Jahr 2021 eine politische Karriere als Kandidat bei den französischen Präsidentschaftswahlen verfolgte – bis September 2021 als Kommentator tätig war. Am 23. Oktober 2019 tätigte Zemmour während einer Debatte mit einem Mitglied des französischen Senats über Themen im Zusammenhang mit Einwanderung, der Integration von Personen ausländischer Herkunft, Frankreichs Stadtrandvierteln und dem Platz von Muslimen in Frankreich Äußerungen, die Anlass zu etwa 2.300 Beschwerden beim CSA gaben. Dieser mahnte daraufhin das beschwerdeführende Unternehmen ab und wies es an, in Zukunft zu gewährleisten, dass seine Rundfunkprogramme keine Aufstachelung zu Hass oder Gewalt enthalten. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wurde vom Staatsrat zurückgewiesen.

Die Gründe:
Der EGMR betonte, dass die angefochtene Entscheidung des CSA in Anbetracht ihrer Art und ihres Gegenstands als eine Bedingung für die Ausübung der Meinungsfreiheit des beschwerdeführenden Unternehmens anzusehen sei, die eine Beeinträchtigung im Sinne von Art. 10 Abs. 2 EMRK darstelle. In diesem Zusammenhang stelle die von der CSA übermittelte Abmahnung aber lediglich eine Verwarnung dar, deren einzige Konsequenz die Möglichkeit sei, weitergehende Sanktionen zu verhängen, sollte das beschwerdeführende Unternehmen in Zukunft erneut gegen seine gesetzlichen und vertraglichen Verpflichtungen verstoßen, insbesondere gegen die Verpflichtung, als Fernsehveranstalter dafür zu sorgen, dass die von ihm ausgestrahlten Programme nicht zu Hass oder Gewalt, insbesondere aus Gründen der Religion oder der Staatsangehörigkeit, aufstacheln oder ermutigen. Auf die Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung in Bezug auf die Verbreitung der fraglichen Äußerungen habe die Abmahnung keine Auswirkungen gehabt.

Gründe, von der Bewertung der beanstandeten Äußerungen durch den CSA und den Staatsrat abzuweichen, vermochte der EGMR nicht zu erkennen. CSA und Staatsrat seien zurecht sowie stichhaltig und hinreichend begründet zu dem Schluss gekommen, dass die streitgegenständlichen Äußerungen Gewalt gegen Teile der Bevölkerung, die sich durch ihre religiösen Überzeugungen definieren, legitimierten und eine Vermengung von Einwanderung, Islam und Islamisierung bewirkten. Aufrufe zu Gewalt, Hass oder Intoleranz seien jedoch Grenzen, die bei der Ausübung des Rechts auf freie Meinungsäußerung unter keinen Umständen überschritten werden dürfen, so der EGMR.

Vor diesem Hintergrund befand der EGMR, dass die vom CSA verhängte Maßnahme maßvoll gewesen sei und in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten legitimen Ziel, nämlich dem Schutz des guten Rufs oder der Rechte anderer, gestanden habe.

Der EGMR erklärte die Beschwerde einstimmig für unzulässig.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 20.12.2023 09:45
Quelle: Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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