EGMR v. 11.1.2024 - 42541/18

Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens - Spanien: Abfangen und Offenlegung von E-Mails im Rahmen der Überwachung eines ihrer Mitglieder durch eine politische Partei

Für elektronische Kommunikation über den Email-Account einer politischen Partei kann ein niedrigeres Schutzniveau greifen. (Tena Arregui gegen Spanien)

Der Sachverhalt:
Der Beschwerdeführer war bis 2015 Mitglied des Vorstands von Unión, Progreso y Democracia (UPyD), einer spanischen politischen Partei. Zum maßgeblichen Zeitpunkt befürwortete er eine Koalition mit der Partei Ciudadanos. Nach dem Parteiausschluss eines UPyD-Mitglieds, P., wegen des Verdachts, mit Ciudadanos zu verhandeln, überprüfte die UPyD die Korrespondenz des P. über die E-Mail-Konten der Partei aus den vorangegangenen Monaten. Im Juni 2015 wurde ein Bericht, der E-Mails des Beschwerdeführers an P. aufzeigte, vom Geschäftsführer der Partei, F., an führende Parteimitglieder übermittelt. Der Beschwerdeführer legte dagegen innerhalb der Parteistrukturen eine offizielle Beschwerde ein. Nachdem diese ohne Erfolg blieb, erstattete er Strafanzeige. Daraufhin wurde ein Strafverfahren gegen F. wegen unrechtmäßiger Offenlegung von Geheimnissen eingeleitet, das im Berufungsverfahren vom Provinzgericht Madrid eingestellt wurde. Dieses stellte fest, dass der Bericht in Auftrag gegeben worden war, um ein mögliches Fehlverhalten innerhalb der Strukturen der UPyD aufzudecken. Die internen Richtlinien der Partei untersagten die Nutzung von offiziellen E-Mail-Konten für persönliche Zwecke oder in einer Weise, die der Partei schaden könnte. Da das Gericht es nicht als hinreichend erwiesen ansah, dass F. mit einer anderen Absicht als der Aufdeckung möglicher Verstöße gegen diese Richtlinien gehandelt hatte, kam es zu dem Schluss, dass mit der Offenlegung der E-Mails kein strafbares Verhalten vorgelegen hatte. Die Beschwerde, mit der der Beschwerdeführer die Nichtigkeit dieser Entscheidung beantragte, und eine spätere Verfassungsbeschwerde blieben erfolglos. Das Verfassungsgericht stellte in seiner Entscheidung fest, dass die Gründe des Provinzgerichts für die Abweisung der Klage angemessen gewesen seien und erklärte, dass die Grundrechte, auf die sich der Beschwerdeführer berief, nicht nur durch das Strafrecht, sondern auch durch andere Rechtsbehelfe geschützt werden könnten.

Die Gründe:
Der EGMR stellte fest, dass die UPyD ein privates Unternehmen beauftragt hatte, die E-Mails eines ihrer Mitglieder zu überwachen, das im Verdacht stand, in Verhandlungen mit einer anderen politischen Partei eingebunden zu sein. Unter diesen E-Mails hätten sich auch einige befunden, die der Beschwerdeführer von seinem privaten E-Mail-Konto aus verschickt hatte. Dieses habe einen schweren Eingriff in seine private Korrespondenz dargestellt. Entscheidend sei allerdings, dass sich dies innerhalb einer politischen Partei abgespielt hatte. Politische Parteien seien für die Demokratie unerlässlich. Auch habe es sich im vorliegenden Fall nicht um ein Arbeitnehmer-Arbeitgeber-Verhältnis gehandelt. Nichtsdestotrotz müssten die nationalen Behörden sicherstellen, dass die Überwachung von Korrespondenz und anderer Kommunikation mit angemessenen Schutzmaßnahmen gegen Missbrauch einhergeht.

Der Beschwerdeführer habe vorliegend nicht geltend gemacht, dass das Recht oder die Ermittlungen unzureichend gewesen seien; er habe vielmehr vorgetragen, dass die Entscheidung des Provinzgerichts, das betreffende Strafverfahren einzustellen, nicht ausreichend begründet worden sei. Dieser Argumentation vermochte sich der EGMR nicht anzuschließen: Das spanische Verfassungsgericht habe die vom Provinzgericht aufgeführten Gründe als kohärent und im Einklang mit dem Schutz der betroffenen Grundrechte beurteilt. Die innerstaatlichen Gerichte hätten eine Straftat ausgeschlossen, indem sie feststellten, dass die Handlungen innerhalb einer politischen Partei stattgefunden hatten, dass sich die Durchsuchungen auf bestimmte Begriffe im Partei-E-Mail-Konto des P. beschränkt hatten, dass solche Konten gemäß den Parteibestimmungen überwacht werden konnten und dass es keine anderen Motive als den Schutz der Interessen der Partei gegeben hatte. Diese Argumentation sei weder willkürlich noch unverhältnismäßig gewesen. Zudem hätten dem Beschwerdeführer mehrere zivilrechtliche Rechtsbehelfe zur Verfügung gestanden, die er jedoch nicht in Anspruch genommen habe.

Der EGMR verneinte einstimmig eine Verletzung von Art. 8 EMRK.

Verlag Dr. Otto Schmidt vom 19.01.2024 11:41
Quelle: Sebastian Ramelli, LL.M. (Institut für Europäisches Medienrecht e.V. Saarbrücken)

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