Aktuell in der AfP

Betroffenenschutz und Medienfreiheit: Gewährleistung und Stärkung der Medienfreiheit (Söder, AfP 2021, 482)

Der Beitrag legt den Fokus auf Themenbereiche, in denen besondere Aufmerksamkeit erforderlich ist, um zu verhindern, dass die Medienfreiheit gegenüber dem Betroffenenschutz ins Hintertreffen gerät, oder in denen schon jetzt gegengesteuert werden muss, um einen angemessenen Ausgleich zwischen dem Schutz der Persönlichkeitsrechte und der Meinungsfreiheit sicherzustellen.

1. Was ist „privat“? – Ausufernder Schutz der Selbstdarstellung bei biografischen Eckdaten von Prominenten
a) Zuordnung von Informationen zur Sozialsphäre
b) Vernachlässigung geringer Eingriffsschwere in der Abwägung
2. Verdachtsberichterstattung: Identifizierung erst nach Verurteilung?
3. Betroffenenschutz durch Strafrecht: Verhetzende Beleidigung, § 192a StGB
4. Internettypische Gefährdungslagen -Einer haftet, andere verdienen
5. Einschüchterungseffekte durch weiten Tatsachenbegriff
6. Missbrauch (äußerungs)rechtlicher Instrumente zur Unterdrückung kritischer Berichterstattung



1. Was ist „privat“? – Ausufernder Schutz der Selbstdarstellung bei biografischen Eckdaten von Prominenten
1
Eine der klassischen Konfliktlinien des Äußerungsrechts betrifft die Zulässigkeit von Berichterstattung über persönliche Sachverhalte. Unsere Sichtweise auf Menschen in unserer Umgebung und ebenso auf Personen des öffentlichen Lebens wird durch die Kenntnis bestimmter Kerninformationen geprägt. Es gibt bestimmte Dinge, die Menschen wissen wollen und oft auch müssen, um andere zu verstehen. Dazu gehören bspw. der berufliche Werdegang und die soziale Stellung, aber auch die familiäre Situation.

2
Das Vorenthalten von Informationen dieser Art kann die Bildung von Urteilen über Menschen mit Leitbildfunktion erschweren oder fehlerhafte Einschätzungen perpetuieren. Das Letztere droht etwa dann, wenn eine prominente Person selektiv solche Veröffentlichungen unterdrückt, die unerwünschte Fakten enthalten, so dass nur die ihr genehmen Dinge stehenbleiben – auch wenn sie nur die halbe Wahrheit repräsentieren.

3
Die äußerungsrechtliche Frage ist, inwieweit über die anderen Seiten auch ohne Zustimmung von Betroffenen berichtet werden kann. Einerseits unterliegt der öffentlichkeitsabgewandte Privatbereich einem verhältnismäßig starken Schutz gegen einwilligungslose Veröffentlichungen, solange keine „Selbstöffnung“  erfolgt ist, also Betroffene sich zu einem Thema nicht schon öffentlich eingelassen haben. Andererseits kann niemand verlangen, in der Öffentlichkeit nur so dargestellt zu werden, wie es dem eigenen Selbstbild entspricht.  Das beinhaltet, dass auch niemand uneingeschränkt allein entscheidet, welche persönlichen Informationen öffentlich bekannt werden und welche nicht.

a) Zuordnung von Informationen zur Sozialsphäre
4
Die erste Weichenstellung erfolgt dabei durch die Zuordnung der Information zur Sozial- oder Privatsphäre. Der BGH hat in jüngerer Zeit u.a. folgende Begebenheiten der Sozialsphäre zu geordnet: die Erledigung des Wocheneinkaufs,  das Verhalten einer Person im öffentlichen Raum während der G20-Krawalle in Hamburg  sowie die Ehescheidung einer Prominenten samt deren rechtlichen Folgen.  Ähnliches gilt nach der Rechtsprechung des EGMR auch für die Geburt eines Kindes.

5
Gleichwohl ist in der Praxis häufig zu beobachten, dass die Instanzgerichte die Berichterstattung über so grundlegende Aspekte wie etwa die Heirat und Vaterschaft eines bekannten TV-Moderators verbieten, wenn der Betroffene sie nicht von sich aus öffentlich macht.  Bei einer sehr bekannten Schauspielerin, die einen renommierten Wissenschaftler geheiratet hat, vertrat ein in Äußerungssachen häufig angerufenes LG jüngst die Auffassung, über die Tatsache einer Eheschließung dürfe man womöglich berichten, nicht aber über die Identität des Partners. Ebenfalls verboten: Ein Bericht über die außereheliche Vaterschaft eines überragend bekannten TV-Moderators, von dem zwar allgemein bekannt ist, mit wem er verheiratet ist und ...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 14.12.2021 11:12
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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