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Weniger Zusammenschlüsse – mehr Medienfreiheit? Der geplante Art. 22 EMFA als weitere Hürde für Zusammenschlüsse auf dem Medienmarkt (Klumpp/Witte Paz, AFP0065167)

Der im EU-Gesetzgebungsverfahren befindliche Entwurf eines European Media Freedom Acts (EMFA-E) sieht in Art. 22 eine medienfreiheitsrechtliche Kontrolle von Zusammenschlüssen vor, die neben die kartellrechtliche Fusionskontrolle treten soll. Anders als die Medienkonzentrationskontrolle nach den Landesmediengesetzen bzw. dem MStV soll die EMFA-Fusionskontrolle sämtliche Mediengattungen erfassen, nicht nur Fernsehen und Hörfunk.

Wesentliche Fragen, insb. die konkrete Ausgestaltung der Aufgreif- und Eingreifkriterien, lässt Art. 22 EMFA-E offen. Auch ist zweifelhaft, ob das hinter Art. 22 EMFA-E stehende Ziel, zum Schutz des Medienpluralismus einen gemeinsamen Rahmen für die Bewertung von Medienzusammenschlüssen zu schaffen, auf diesem Weg überhaupt erreicht werden kann. Trotz erheblicher Zweifel an der Recht- und Zweckmäßigkeit des EMFA-E, vor allem des Art. 22 EMFA-E, wollen die EU-Gesetzgebungsorgane den EMFA in Kürze beschließen.

Dann wird es darauf ankommen, wie die EMFA-Fusionskontrolle in den Mitgliedsstaaten umgesetzt wird. Neben der Konkretisierung der Aufgreifschwellen und der Prüfkriterien wird zu klären sein, welche Institution mit der Durchführung der Kontrolle betraut wird. In Deutschland wirft eine bundesweit einheitliche Umsetzung der EMFA-Fusionskontrolle kompetenzrechtliche Probleme auf. Zudem gilt es, mit Blick auf die bestehende kartellrechtliche Fusionskontrolle eine Überregulierung von Presse- und Rundfunkzusammenschlüssen zu verhindern.

I. Ausgangssituation
II. Überblick zum EMFA-E
1. Bisheriges Gesetzgebungsverfahren
2. Zielsetzung und Reichweite der geplanten Verordnung
3. Reaktionen auf das Gesetzgebungsvorhaben
III. EMFA-Fusionskontrolle nach Art. 22 EMFA-E
1. Systematische Verortung von Art. 22 EMFA-E
2. Pflicht zur Schaffung nationaler Vorschriften für die EMFA-Fusionskontrolle
3. Aufgreifkriterien
4. Eingreifkriterien
5. Rechtsfolgen
6. Zuständigkeit, Verfahren und Rechtsschutz
IV. Kontrolle von Medienzusammenschlüssen de lege lata
1. Medienkonzentrationskontrolle nach den Landesmediengesetzen und dem MStV
2. Medienfusionskontrolle nach FKVO und GWB
3. Zusammenspiel von Medienkonzentrationskontrolle und kartellrechtlicher Fusionskontrolle de lege lata
V. Würdigung der EMFA-Fusionskontrolle
1. Kein Bedürfnis für eine europäische Medienkonzentrationskontrolle
2. Kontrollrechtliche Gleichbehandlung aller Mediengattungen
3. Zweifel an der Recht- und Zweckmäßigkeit der EMFA-Fusionskontrolle
a) Rechtmäßigkeit der EMFA-Fusionskontrolle
b) Zweckmäßigkeit der EMFA-Fusionskontrolle
4. Möglichkeiten der Umsetzung von Art. 22 EMFA-E in Deutschland
a) Kompetenzrechtliche Fragen
b) Zuständigkeits- und verfahrensrechtliche Fragen
aa) Zuständigkeit der Landesmedienanstalten
bb) Zuständigkeit des BKartA
cc) Zuständigkeit der KEK
dd) Fazit zur Zuständigkeitsfrage
c) Materiellrechtliche Fragen
VI. Fazit
 

I. Ausgangssituation

Das Europäisches Parlament hat am 13.3.2024 eine Verordnung zur Medienregulierung beschlossen, die u.a. Zusammenschlüsse auf dem Medienmarkt einer zusätzlichen Kontrolle unterwerfen will. Nach Art. 22 des Entwurfs zum sog. European Media Freedom Act (EMFA-E) soll geprüft werden, wie sich Medienzusammenschlüsse auf den Medienpluralismus und auf die redaktionelle Unabhängigkeit auswirken (EMFA-Fusionskontrolle). Die Zustimmung des Rates der Europäischen Union zum EMFA-E ist zeitnah zu erwarten.

Dieser Beitrag liefert zunächst einen Überblick zum EMFA-E (unter II.). Anschließend wird das Instrument der EMFA-Fusionskontrolle im Einzelnen analysiert (unter III.). Daraufhin wird die in Deutschland bislang geltende Rechtslage bei der Kontrolle von Medienzusammenschlüssen zusammengefasst (unter IV.). Abschließend wird die EMFA-Fusionskontrolle gewürdigt (unter V.).

II. Überblick zum EMFA-E

1. Bisheriges Gesetzgebungsverfahren

Die Präsidentin der EU-Kommission, Ursula von der Leyen, kündigte das „Medienfreiheits-Gesetz“ am 15.9.2021 in ihrer Rede zur Lage der Union an. Fast auf den Tag genau ein Jahr später legte die Kommission einen Vorschlag für eine neue EU-Verordnung, den EMFA, vor. Der EMFA soll – gestützt auf die allgemeine Binnenmarktklausel des Art. 114 AEUV – die Medienfreiheit und den Medienpluralismus als wesentliche Merkmale eines gut funktionierenden Medienbinnenmarkts schützen.Aufgrund seiner Rechtsnatur als Verordnung soll der EMFA in den Mitgliedsstaaten unmittelbar gelten.

Der Rat der Europäischen Union hat am 21.6.2023 sein Verhandlungsmandat beschlossen, das Europäische Parlament hat in erster Lesung am 3.10.2023 seinen Standpunkt zum EMFA-E angenommen. Auf dieser Grundlage haben das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union und die EU-Kommission im Rahmen des sog. Trilog-Verfahrens über den EMFA verhandelt. Am 15.12.2023 haben sie eine vorläufige Einigung erzielt. Am 13.3.2024 hat das Europäische Parlament den EMFA-E beschlossen, mit der formalen Zustimmung des Rates ist noch im Frühjahr 2024 zu rechnen.

2. Zielsetzung und Reichweite der geplanten Verordnung

Die neue Verordnung soll europaweit einheitliche Regelungen für Mediendienste schaffen, die darauf abzielen, die Freiheit und Unabhängigkeit von Mediendiensten und Journalisten zu sichern.

Als Mediendienst definiert der EMFA-E die Bereitstellung von Sendungen oder Presseveröffentlichungen für die Allgemeinheit zur Information, Unterhaltung oder Bildung (Art. 2 Nr. 1 EMFA-E). Das können bspw. Fernseh- oder Hörfunksendungen, audiovisuelle Mediendienste auf Abruf, Audio-Podcasts oder Zeitungen und Zeitschriften sein. Erfasst werden private wie auch öffentlich-rechtliche Mediendienste. Keine Mediendienste i.S.d. EMFA-E sind nicht-wirtschaftliche Tätigkeiten wie nutzergenerierte Inhalte zu privaten Zwecken, privater Schriftwechsel, Unternehmenskommunikation oder die Verbreitung von Informations- oder Werbematerial für öffentliche oder private Einrichtungen.

Für Mediendienste sieht der EMFA-E nun europaweit einheitliche Vorschriften zum Schutz der redaktionellen Unabhängigkeit, zur Finanzierung öffentlich-rechtlicher Medien, zur Zuweisung staatlicher Werbeausgaben und schließlich zur Kontrolle von Zusammenschlüssen auf dem Medienmarkt vor.

Außerdem soll ein European Board for Media Services (Board) eingerichtet werden (Art. 8 Abs. 1 EMFA-E), das sich aus Vertretern der nationalen Regulierungsbehörden oder -stellen zusammensetzt (Art. 10 Abs. 1 EMFA-E). Aufgabe des Boards ist es, die wirksame und einheitliche Anwendung des EMFA und der nationalen Vorschriften zur Umsetzung der Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste zu fördern (Art. 13 EMFA-E). Zu diesem Zweck werden dem Board im EMFA-E zahlreiche Kompetenzen übertragen, u.a. im Zusammenhang mit der EMFA-Fusionskontrolle (dazu unter III.6.).



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 11.03.2024 16:34

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