Aktuell in der AfP

Nutzung urheberrechtlich geschützter Inhalte zum Training generativer künstlicher Intelligenz - ein Lagebericht (de la Durantaye, AfP 2024, 9)

Derzeit wird sowohl in der EU als auch in den USA intensiv darüber diskutiert, ob die zustimmungsfreie Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke zum Training generativer KI zulässig ist bzw. sein sollte. In der EU soll der geplante AI Act die Position der Rechtsinhaber:innen stärken. In den USA sind einige Klagen anhängig. Außerdem beschäftigen sich der Kongress sowie das Copyright Office und der Präsident der USA intensiv mit dem Thema. In diesem Aufsatz werden die Ereignisse beiderseits des Atlantiks beleuchtet. In Teil eins wird untersucht, inwiefern die Wertschöpfung von KI urheberrechtlich relevant ist und etwaige Eingriffe in urheberrechtliche Ausschließlichkeitsrechte durch gesetzliche Erlaubnistatbestände gerechtfertigt sind. Teil zwei ist den rechtlichen Entwicklungen gewidmet. Behandelt werden sowohl die relevanten Passagen des AI Acts als auch die einschlägigen Entwicklungen in den USA. Im letzten Teil werden die Strategien der KI-Unternehmen für den Umgang mit der bestehenden Rechtsunsicherheit analysiert. Die Untersuchung zeigt, dass die Rechtslage in der EU sowie die durch den AI Act geplanten Änderungen wichtige Bezugspunkte für die US-amerikanischen Debatten bilden - und umgekehrt. Zudem bestehen erhebliche Wechselwirkungen zwischen technischen und rechtlichen Entwicklungen.

I. Ausgangssituation
II. KI-Wertschöpfung und Urheberrecht

1. Technische Abläufe
2. Urheberrechtliche Relevanz
a) Schutzfähigkeit von KI-Output
b) Haftung für KI-Output
c) Nutzung zu Trainingszwecken
aa) Vervielfältigungen und Bearbeitungen der Trainingsdaten
bb) Entfernung von Rechtsinhaberinformationen
cc) KI-Modell als Vervielfältigungsstück
3. Gesetzliche Erlaubnistatbestände
a) Vorübergehende Vervielfältigungen (§ 44a UrhG)
b) Text und Data Mining-Schranken
aa) Training generativer KI als TDM
bb) Nutzungsvorbehalt
III. Rechtliche Entwicklungen
1. AI Act
a) Transparenzpflichten
b) Urheberrechtsbezogene Pflicht
2. USA
a) Rechtsstreitigkeiten
b) Hearings im Kongress
c) Notice of Inquiry des Copyright Office
d) Executive Order
IV. Unternehmensstrategien
1. Lobbyismus
2. Schutzvorrichtungen gegen Urheberrechtsverletzungen
3. Haftungsfreistellungen
4. Lizenzierung
V. Ausblick


I. Ausgangssituation

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Generative künstliche Intelligenz (KI) erregt die Gemüter. Gestritten wird derzeit insb. darüber, welches Gefahrenpotential die Technologie für Menschen allgemein sowie für kreativ tätige Menschen im Besonderen birgt. Nina George, Schriftstellerin und Ehrenpräsidentin des European Writers’ Council, schrieb Anfang Dezember 2023 in der SZ, dass sie eine Rückkehr „in die Zeit vor der Aufklärung“ befürchtet, und beklagte einen „Angriff der Killerkopisten“. Mit ihrem Artikel wehrte sie sich u.a. gegen eine Initiative von Deutschland, Frankreich und Italien. Die drei Mitgliedstaaten hatten sich wenige Tage vor dem entscheidenden Trilog zum Gesetz über künstliche Intelligenz (AI Act) in einem Non-Paper gegen verpflichtende Regeln für die Anbieter von Foundation Models ausgesprochen, also von großen KI-Modellen, die für unterschiedlichste Zwecke verwendet werden können. Um Innovationen in europäische KI-Technologien zu fördern, wollten Deutschland, Frankreich und Italien Anbieter:innen solcher Modelle nur zu einer Selbstregulierung verpflichten – nicht zuletzt auf Druck der beiden vielversprechendsten europäischen KI-Unternehmen Aleph Alpha (aus Deutschland) und Mistral (aus Frankreich). Der Vorstoß wurde von Teilen der Wissenschaft und der allgemeinen Öffentlichkeit heftig kritisiert. Zwischenzeitlich sah es so aus, als könne der AI Act an dieser Frage scheitern. Letztlich aber haben sich Europäische Kommission, Europäisches Parlament und Rat der Europäischen Union am 8.12.2023 auf eine vorläufige Version geeinigt, die mehr als nur eine Verpflichtung zur Selbstregulierung beinhaltet. Die Details befinden sich noch im Abstimmungsprozess. Auch die Passagen, die das Urheberrecht betreffen, können sich noch geringfügig verändern.

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Nicht nur in der EU befürchten Urheber:innen, dass sie durch generative KI substituiert werden könnten. So stellte etwa das Center for Artistic Inquiry and Reporting in seinem offenen Brief Anfang Mai 2023 fest: „Generative art is vampirical, feasting on past generations of artwork even as it sucks the lifeblood from living artists.“ Das Bild des Vampirs griff Naomi Klein in einer Kolumne auf, die sie wenige Tage später im Guardian veröffentlichte. Darin forderte sie: „We can regulate the current form of vampiric chatbots out of existence [...]. Because we trained the machines. All of us. But we never gave our consent. They fed on humanity’s collective ingenuity, inspiration and revelations (along with our more venal traits). These models are enclosure and appropriation machines, devouring and privatizing our individual lives as well as our collective intellectual and artistic inheritances.“ Selbst auf der Leitungsebene von KI-Unternehmen herrscht Uneinigkeit über den angemessenen Umgang mit der Technologie. Sam Altmans zwischenzeitliche Absetzung bei OpenAI war auch das (Zwischen-)Ergebnis eines unternehmensinternen Streits um die Frage, wie sehr sich das Unternehmen anstrengen soll, um sicherzustellen, dass die von ihnen entwickelten Modelle möglichst wenig Gefahren bergen. Diese Diskussionen beobachtet die Europäische Kommission in ihrer Eigenschaft als Kartellbehörde. Sie erwägt, ein Fusionskontrollverfahren wegen der Beteiligung von Microsoft an OpenAI anzustrengen.

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Vor allem aber hat sie den Vorschlag für einen AI Act unterbreitet, der die mit KI einhergehenden Gefahren durch produktsicherheitsrechtliche Regeln reduzieren soll. Er soll in den kommenden Monaten verabschiedet werden. Nach dem Willen der beteiligten Institutionen soll er u.a. die Position der Rechtsinhaber:innen stärken. In den USA sind derweil einige Klagen anhängig. Außerdem beschäftigen sich der Kongress sowie das Copyright Office und der Präsident der USA intensiv mit dem Thema. Dieser Aufsatz beleuchtet die Ereignisse beiderseits des Atlantik.

II. KI-Wertschöpfung und Urheberrecht
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Die technischen Abläufe, die mit der Schaffung generativer KI einhergehen, erfordern urheberrechtliche Nutzungshandlungen.

1. Technische Abläufe
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Generative KI ist eine KI-Anwendung, die Inhalte generieren kann. Die meisten Anwendungen bauen auf Foundation Models wie etwa GPT-4 auf. Diese Modelle werden mit sehr vielen Daten trainiert (Pre-training) und dienen als Basis für unterschiedliche generative KI-Anwendungen, etwa ChatGPT. Die generativen KI-Anwendungen werden ebenfalls mit Daten trainiert (Finetuning); die Datensätze, die dafür verwendet werden, sind in aller Regel kleiner.

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Durch das Training werden die Modelle in die Lage versetzt, Muster und Strukturen zu erkennen. Bspw. muss ein Textmodell Wort- und Satzzusammenhänge sowie kontextabhängige Wortbedeutungen abbilden können. Aus den Trainingsdaten leitet das Modell Parameter ab, die es in Form von Zahlenwerten speichert. Mittels dieser Werte kann es berechnen, dass auf die Wortfolge „Der Baum ist“ häufiger das Wort „grün“ folgt als das Wort „lila“, oder dass das Wort „Bank“ je nach Kontext ein Möbelstück oder ein Finanzinstitut bezeichnen kann. Wenn eine Anwendung eine Anfrage von einem Nutzer erhält (Prompt), berechnet das Modell also Wahrscheinlichkeiten; auf deren Basis generiert es den Output.

2. Urheberrechtliche Relevanz
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Aus urheberrechtlicher Perspektive ergeben sich daraus drei Fragenkomplexe. Erstens: Ist der KI-Output schutzfähig? Zweitens: Wer haftet, wenn der Output Verwertungsrechte verletzt? Drittens: Ist das Training mit geschützten Inhalten zustimmungsfrei zulässig?

a) Schutzfähigkeit von KI-Output
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Der Output, den KI generiert, besteht zumeist aus Texten, Bildern, Filmen, Musik oder Software. Viele dieser Inhalte wären urheberrechtlich geschützt, wenn ein Mensch sie geschaffen hätte. Ob etwas anderes gilt, weil und wenn sie...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 18.03.2024 15:21
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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