Aktuell in der AfP

Modernisierungsbedarf beim presserechtlichen Auskunftsanspruch (Schnabel, AfP 2024, 120)

Der presserechtliche Auskunftsanspruch ist in die Jahre gekommen. Seit Erlass sind die Gesetze kaum geändert worden. Weiterentwicklungen erfolgten nur durch die Rechtsprechung, ohne demokratisches Mandat. Dabei zeigen sich Fehlentwicklungen im Hinblick auf die Anspruchsverpflichteten, die Handhabung der Ausnahmen und den Anspruchsgegenstand selbst. In Bezug auf Bundesbehörden besteht – aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung – seit mehr als zehn Jahren gar keine gesetzliche Grundlage mehr. Hier ist der Bundesgesetzgeber gefordert. Die Landesparlamente sollten ihre Gesetze ebenfalls aktualisieren. Der Beitrag stellt dar, wo Handlungsbedarf besteht und welche Lösungen angezeigt sind.

1. Hintergrund
2. Anspruchsgegner: Öffentliche Unternehmen und staatliche Grundrechtsträger
3. Anspruchsinhalt: Herausgabe konkreter Unterlagen oder behördenseitig formulierte Darstellungen?
4. Anspruchsgrenzen: Datenschutz, Geschäftsgeheimnisse und geistiges Eigentum

a) Datenschutz
b) Geschäftsgeheimnisse
c) Geistiges Eigentum
5. Anspruchsdurchsetzung: Zeitnah und ohne Aktualitätseinbußen
6. Gerichtsentscheidungen
7. Fazit


1. Hintergrund

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Der Auskunftsanspruch nach den Landespressegesetzen besteht seit den 1960er Jahren nahezu unverändert. Eine Anpassung erfolgt – wenn überhaupt – durch die Rechtsprechung. Dies führt zu einer Einzelfalldogmatik, die sich im Laufe der Jahre immer weiter vom Gesetzestext entfernt. Außerdem werden Unterschiede in den jeweiligen Landesregelungen durch die Rechtsprechung eingeebnet. Unterschiede im Normwortlaut werden kaum mehr berücksichtigt.

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Die Situation verschärft sich durch einen Wandel der Rechtsprechung. Vor inzwischen über zehn Jahren hat das BVerwG (im Ergebnis zutreffend) entschieden, dass die Landesregelungen zum presserechtlichen Auskunftsanspruch keine Anwendung auf Bundesbehörden mehr finden sollen – hierfür fehlte den Ländern die gesetzgeberische Zuständigkeit. Obwohl die Entscheidung kompetenzrechtlich zutreffend war, hat die Literatur darauf mit einem nahezu einheitlichen Aufschrei reagiert. Zwar war die Furcht vor einer Einschränkung der Reichweite des Anspruchs unbegründet, weil die Rechtsprechung in der Folge auch ohne jeden Gesetzeswortlaut weiter „Business as usual“ betrieben hat: An den Ergebnissen hat sich im Presserecht nichts geändert. Allerdings fehlt es dadurch seit Jahren an einem soliden gesetzlichen Fundament, auf das die Rechtsprechung ihre Entscheidungen stützen kann. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit, durch den Erlass einer Regelung Einfluss auf die Rechtsprechung zu nehmen, und ist in einigen Bereichen auch dazu verpflichtet, wie der Beitrag zeigen wird.

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Auch deshalb wurde seit dem Wechsel der Rechtsprechung wiederholt öffentlich die Forderung an den Bundestag herangetragen, seiner legislativen Verantwortung gerecht zu werden und eine moderne Regelung zu erlassen, die auch Vorbildcharakter für die inzwischen mehr als angestaubten Landesregelungen haben könnte und sollte. Es bestand auch kein Mangel an Initiativen, aber bislang war keinem der zahlreichen Gesetzentwürfe Erfolg beschieden.

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Der Koalitionsvertrag der regierenden Ampelkoalition aus dem Jahr 2021 enthält den Satz: „Wir schaffen eine gesetzliche Grundlage für den Auskunftsanspruch der Presse gegenüber Bundesbehörden.“ Geschehen ist dies bislang noch nicht. Ende 2023 hat die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien Roth angekündigt, 2024 ein Gesetz für mehr Rechtsklarheit zu Presseauskünften bei Bundesstellen anschieben zu wollen. Der vorliegende Beitrag zeigt auf, wo legislativer Handlungsbedarf besteht und wie dies umgesetzt werden könnte.

2. Anspruchsgegner: Öffentliche Unternehmen und staatliche Grundrechtsträger
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Bei Schaffung des Auskunftsanspruchs stand zunächst die Kernverwaltung im Mittelpunkt des Interesses. Die Rechtsprechung hat den Anspruch im Weg der Auslegung auf juristische Personen des Privatrechts erstreckt. Jede von der öffentlichen Hand beherrschte und zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben eingesetzte Stelle ist erfasst – insb. im Bereich der Daseinsvorsorge.Dies betrifft nicht lediglich die vollständig im Eigentum der öffentlichen Hand stehenden Unternehmen, sondern auch gemischtwirtschaftliche Unternehmen, wenn diese von der öffentlichen Hand beherrscht werden. Eine Beherrschung ist dabei regelmäßig anzunehmen, wenn mehr als die Hälfte der Anteile im Eigentum der öffentlichen Hand stehen. Grundsätzlich begegnet diese Rechtsprechung vom Ergebnis her keinen durchgreifenden Bedenken. Allerdings ist eine solche Entscheidung aus verfassungsrechtlichen Gründen dem Gesetzgeber vorbehalten. Auch wenn das Ergebnis zutreffend ist, sind entsprechende, ausdrückliche gesetzliche Regelungen erforderlich. Dabei kann sich der Gesetzgeber an den Vorgaben im europäisch ausgestalteten Umweltinformationsrecht orientieren, so wie einige Gesetzgeber dies für das allgemeine Informationsfreiheitsrecht getan haben. Danach sind Unternehmen dann erfasst, wenn sie öffentliche Aufgaben, insb. solche der Daseinsvorsorge, wahrnehmen oder öffentliche Dienstleistungen erbringen und dabei staatlicher Kontrolle unterliegen.

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Problematischer sind Ansprüche gegen Stellen der mittelbaren Staatsverwaltung. Auch hierzu hat die Rechtsprechung eigene Regeln geschaffen, die – soweit ersichtlich – über alle unterschiedlichen Landesgesetze hinweg einheitlich angewandt werden. So hat das BVerfG entschieden, dass juristische Personen des öffentlichen Rechts, die der Wahrnehmung eines Grundrechts dienen, vom Auskunftsanspruch nicht erfasst sein sollen. Dies ist schon im Kern verfehlt, weil eine Beschränkung auf Informationen, die den Bereich der eigentlichen Grundrechtsverwirklichung unberührt lässt, ausreicht und der Pressefreiheit mehr Geltung verschafft hätte. Überdies ist die Rechtsprechung hier inkonsequent: Für Kirchen stellt sie darauf ab, ob diese konkret in dem Bereich ihrer verfassungsrechtlich durch Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV geschützten innerkirchlichen Angelegenheiten tätig werden. Öffentlich-rechtlich organisierte Rundfunkanstalten sollen aber nicht erfasst sein. Begründet wird dies damit, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk aufgrund seiner „pluralistischen Binnenstruktur“ keiner Kontrolle von außen bedarf. Diese Begründung aus dem Jahr 1985 kann rückblickend nur als massive Fehleinschätzung bezeichnet werden. Die Kontrollfunktion der vierten Gewalt betrifft alle staatlichen Stellen und endet nicht an den Eingangstoren der Rundfunkanstalten. Dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk keiner Überwachung durch Presse und Öffentlichkeit bedürfe, weil er aufgrund seiner Struktur hinreichend gegen Verschwendung, Korruption und Machtmissbrauch abgesichert sei, ist angesichts der Skandale der letzten Jahre kaum als Argument ernst zu nehmen. Für Universitäten verzichtet die Rechtsprechung im Ergebnis zutreffend, aber inkonsequent auf eine entsprechende Ausnahme.

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Daher ist eine gesetzliche Regelung angezeigt, die den Umfang regelt, in dem juristische Personen des öffentlichen Rechts vom presserechtlichen Auskunftsanspruch erfasst sein sollen. Sinnvollerweise sollte der Anwendungsbereich auf Informationen außerhalb des Kernbereichs der Grundrechtsverwirklichung beschränkt werden.

3. Anspruchsinhalt: Herausgabe konkreter Unterlagen oder behördenseitig formulierte Darstellungen?
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Der Anspruch besteht gesetzesübergreifend auf „Auskünfte“. Die Rechtsprechung versteht hierunter die Beantwortung von Fragen, nicht aber die Herausgabe von konkreten Unterlagen. Nur im Ausnahmefall einer Ermessensreduktion soll ein Anspruch auf Herausgabe bestimmter Unterlagen bestehen.

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Diese Ansicht ergibt sich zum einen nicht zwingend aus den Landespressegesetzen. Zum anderen führt sie zu einem Bedeutungsverlust des presserechtlichen Auskunftsanspruchs, weil...
 



Verlag Dr. Otto Schmidt vom 16.05.2024 09:48
Quelle: Verlag Dr. Otto Schmidt

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